: „Gender Mainstreaming? Ja, leck mich am Arsch!“
Auch nicht mehr das, was sie mal waren? Folge V: Die politischen Journalisten. Nur noch Knall und Krawall? Ein Besuch bei Udo Röbel, Ex-Chefredakteur von „Bild“.
Die Serie: Auch nicht mehr das, was sie mal waren? Im Wahlkampf neigt die Info-Elite wider besseres Wissen zu einer Fixiertheit auf Parteien und Spitzenpolitiker. Und klagt dabei über eine intellektuelle Leere, über fehlende Impulse aus der Gesellschaft. Wie steht es wirklich um den geistigen Zustand der Republik? Zuletzt erschien: Die Gutmenschen
VON PETER UNFRIED
Udo Röbel wundert sich nicht im Geringsten, dass man mit der Frage nach der Situation des politischen Qualitätsjournalismus zu ihm kommt. Ihm, dem Boulevardreporter, dem ehemaligen Bild-Chefredakteur, der Verona groß gemacht hat. Röbel sitzt hinter seinem Schreibtisch im Hamburger Stadtteil Lokstedt. Wirkt entspannt. Sogar sehr entspannt. Kaffee? Bitte. Ab und an geht er raus, um im Büro nebenan eine Kippe zu schnorren.
Politischer Journalismus also. Dass in den rot-grünen Jahren eine allgemeine Boulevardisierung sich vollzogen habe, wie in diesen Tagen geächzt wird?
Ja, das sei so, sagt Röbel. Mit der taz wedelnd. Kleine Provokation? Im Ernst, Herr Röbel: Gibt es überall nur noch Personen, Machtworte, Duelle, Dramatisierung, „Flatterhafte Effektheischer“ (Zeit), die Doris auf Merkel hetzen? „Knall- und Krawallberichterstattung“ (FAZ), mit der Medien und Politik sich gegenseitig paralysieren? Und vor allem: Sind letztlich auch daran die 68er schuld? Quelle für diese These ist übrigens auch die FAZ, die beharrlich Schröder und Fischer mit den 68ern gleichsetzt. Historisch nicht haltbar, aber na ja: Ist halt knalliger. Schröders notorischer Spruch, er brauche zum Regieren nur „Bild, BamS und Glotze“ baute jedenfalls auch auf Röbel, den ersten – und bisher letzten – Bild-Chef, der bei einer Bundestagswahl nicht den Unionskandidaten favorisierte. In letzter Konsequenz, weil Kohl 1998 Geschichte war und keine mehr hergab, aber immerhin.
Röbel war im Wahljahr als zwölfter Journalist seit 1952 auf den Unheiligen Stuhl in Hamburg gelangt. Vorgänger Claus Larass wechselte in den Vorstand von Springer und zog seinen Vize mit nach oben. Anfang 2001 wurde er vom heutigen Amtsinhaber Kai Diekmann abgelöst.
Grundsätzlich: Röbel glaubt nicht, dass Kanzler und Außenminister mit ihrem von den 68ern gelernten Stil, ihrem Ego, ihrer Lager- und Macher-Inszenierung die Medien bewusst benutzt und negativ verändert haben. Mit seiner weniger strategisch als biografisch erklärbaren Nähe und Offenheit gegenüber Medien sei der Kanzler in ein Vakuum gestoßen nach einem Vorgänger, „der auf die Medien spuckte“. So begann im Herbst 1998 eine neue Zeit: Die Tür war offen, die Journalisten gingen durch, um mitzuregieren, „an erster Stelle Herr Aust“, der Spiegel-Chef. Hurra, WIR bauen Deutschland um. Honeymoon. Irgendwann Enttäuschung auf beiden Seiten und in der Folge eine „riesige Krisenwolke über den Regierenden“ (Zeit).
Röbel beschäftigt grundsätzlich anderes, was die Gesellschaft kennzeichne und auf dessen Grundlage sich die Bundestagswahl vom 18. September vollziehe: „Die Leute kommen mit Freiheit nicht zurecht.“ Nicht bloß die im Osten. Die von 1968 ausgegangene Befreiung aus vorlibertären Strukturen sei für einige Teile der Gesellschaft in eine Überforderung ausgeartet. Sex, Pornografie und so weiter: keine Tabus. Er habe Mitleid „mit den jungen Leuten“, die man an ein Buffet gestellt und denen man gesagt habe: „Friss, soviel du willst.“ Die These hört man öfter: Selbst Sigmar Gabriel, die angebliche Zukunft der SPD, ächzt über die „Tyrannei der Entscheidungszwänge“. Gegenreaktion, sagt Röbel: Eine starke Sehnsucht nach Ordnung. „Die Leute drängen bewusst in unfreie Räume, weil sie da Halt suchen.“ Sie wollen das auch mal ausprobieren. Und: Erst wenn man Tabus hat, kann man Tabus wieder brechen.
Gegenfrage: So gesehen und von der Kirchhof-Konfusion mal ab-, würde im Fall eines Falles nicht nur die Situation auf dem Arbeitsmarkt, sondern auch eine gesellschaftliche Umorientierung die CDU-Vorsitzende Merkel ins Kanzleramt führen: Weg von der unorganisierten, aber befreiten Lotter-Truppe Schröder/Fischer. Hin zu Disziplin, Pünktlichkeit, Klarsichtmappe?
Das hat Röbel nicht gesagt. Er glaubt aber, dass Joschka Fischer Recht hat und so viele Leute wie nie immer noch nicht entschieden haben, wen sie wählen. Die spannende Frage sei: Warum? Vielleicht ist das Kennzeichen eines gelernten Boulevardjournalisten: Jedenfalls redet er nicht von den grün-bürgerlichen Mittelschichten und ihren skrupulösen, ökonomisch motivierten Überlegungen, erstmals in Anerkennung ihrer postrevolutionären Lebensphase CDU zu wählen. Er redet auch nicht von jenen, die sich der Hartz-IV-Allianz entfremdet haben und deshalb seit Monaten erwägen, Linkspartei wählen.
Er meint andere.
Diese Leute haben den Namen Daniel Cohn-Bendit noch nie gehört, ganz zu schweigen von seinem Satz, es sei ein Verdienst von 1968 und Rot-Grün, wenn kinderlose Frauen und frauenlose Männer die Regierung übernehmen können.
Diese Leute überlegen auch schlicht, ob sie im Fernsehen wirklich sehen wollen, dass wir eine Frau oder einen Schwulen oder beide zum Präsidenten nach Washington schicken. „Das ist ein Tabu“, sagt Röbel, „das darf man hier gar nicht diskutieren, weil wir ja gelernt haben, dass wir gegen Frauen und Schwule nichts mehr haben.“ Es wäre die maximale Pointe von sieben Jahren Rot-Grün, wenn der reaktionäre Reflex auf ihr Wirken oder die totale Ignorierung sie in der Regierung beließe.
Die häufig attestierte Politikverdrossenheit ist für Röbel eine Folge von Unwissenheit und Scham. „Die Informationsgesellschaft feiert den Informierten. Aber die Leute wissen nur eines: dass sie keine Ahnung haben. Aber wer hat den Mut, das zuzugeben? Keiner. Also sagt man: Interessiert mich nicht!“ Diese angeblich Verdrossenen, in Wahrheit Unwissenden wieder an Sachpolitik ranzuführen, gehe – wenn überhaupt – nur, indem man Dinge verständlich mache, „und wenn es nach dem Prinzip der Sendung mit der Maus ist“. Die Tagesschau? Kapiert kein Mensch. Er beobachtet, dass die Nachrichten im Kinderkanal zunehmend von Erwachsenen gesehen werden. Das Problem sei, sagt Röbel, dass auch die Infoelite die Sachthemen häufig nicht wirklich durchdringe. Oder dieses Geschäft ihr bisweilen zu mühsam ist. Also wird personalisiert. Oder geschwurbelt. Zum Beispiel wir beide hier, fragt Röbel, was verstehen wir? Tja.
„Ich verstehe vieles nicht, was ich lese“, sagt Röbel. „Und je näher es ans Feuilleton geht, desto weniger verstehe ich.“ Er telefoniert kurz. Bestellt zwei Schachteln Marlboro. Dann sagt er: „Was, zum Teufel, ist Gender Mainstreaming? Ja, leck mich am Arsch!“
Nicht dass jetzt ein falscher Eindruck entsteht: Röbel ist nicht oberflächlich oder blöd. Das Gegenteil ist richtig. Aber Röbel ist offen. Er kann es sich leisten, so kommt das rüber, und vielleicht soll es das auch. Der Mann hat einiges hinter sich.
Wer Röbel sagt, denkt an drei der meistdiskutierten journalistischen Aktionen der letzten Jahre. Er bekam den Wächterpreis, weil seine Recherchen den wegen angeblicher Homosexualität aus der Bundeswehr geschmissenen General Kießling rehabilitierten. In Gladbeck sprang er 1988 um der Story willen in ein Entführerauto, in dem später die Geisel Silke Bischoff erschossen wurde. 2000 verantwortete er die sachlich falsche Sebnitz-Berichterstattung von Bild („Neonazis ertränken Kind“). Grundsätzlich-strategisch werkelte Röbel auf der Grundlage von Larras’ Vorarbeit an neuen Erzählungen und Erzählformen. Wegen eines veränderten Boulevardmarktes funktionierten die alten Verkaufsknaller nicht mehr. So suchte er eine neue Zielgruppe: „Weg von der Baubude“, wie er sagt. Dorthin, wo Lesen, Zeitung und der politische Journalismus noch bescheidene Zukunft haben. Einher ging das mit dem (vorläufigen, wie man heute weiß) Ende des politischen Lager- und Kulturkampfes. Auch das war Ende der 90er pragmatisch gedacht. In Großbritannien hatten Sun und Times bereits mit Tony Blair koaliert, es gab eine linke Mehrheit in Deutschland und zudem eine heute seltsam erscheinende gefühlte Leichtigkeit. Ergebnisse waren Feldbusch- und „Luder“-Journalismus und in den besten Momenten ein Gaga-, Dada- und Metaboulevard, der tatsächlich einige vormalige Bild-Hasser intellektuell amüsierte.
Eigentlich wollte Röbel ja Anfang der 70er zum Spiegel. Aber die wollten ihn nicht. Dann war er als einziger Journalist dabei, als Beatmusiker sich auf der Bühne entblößten. Für die Jüngeren: Damals durfte man noch nicht alles. Und so hatte er am nächsten Tag seine erste Boulevard-Schlagzeile. „Ich war für Rock ’n’ Roll, aber die Geschichte war gut“, sagt er. Pause. Gelächter. Ah, war das die Zeile für die Geschichte seines Lebens? Er bietet eine zweite an: „Ich bin eigentlich immer auf der falschen Seite gestanden.“ 1968? Da war er auf dem Weg zum Volontariat bei der konservativen Rheinpfalz. Es folgten „30 Jahre am Rande der Schizophrenie“. Und heute, „wo die Wertkonservativen kommen, habe ich die Freiheit, ein 68er zu sein“.
Ob Röbel tatsächlich eine Bild mit menschlichem Antlitz machte, vermögen auch ausgewiesene Bild-Kenner unter Medienjournalisten nicht endgültig zu sagen. Nachfolger Diekmanns Bild ist jedenfalls eine ganz andere. Sagen wir so: Axel Springer würde leiden wie ein Hund.
Zum Beispiel die Zeile „Wir sind Papst“ am Tag nach der Wahl von Ratzinger. „Genial“, sagt Röbel. Einerseits. Andererseits widerstrebt ihm so was. Er hätte „Ooops, wir sind Papst“ getitelt. Ooops markiert eine Distanz von tausend Kilometern.
Zwei Jahre hat Röbel nach seinem Abgang bei Bild gebraucht, um zu verarbeiten, „was das alles mit mir gemacht hat – physisch und psychisch.“ Er ließ sich lange Haare wachsen, er schrieb einen Roman, er schnitt die Haare wieder ab. Heute macht er ein bisschen Beratung und ist Herausgeber des Internetportals fairpress.biz. In letzter Zeit hat sich der Ex-Chef in der Öffentlichkeit als Chef-Kritiker von Bild positioniert.
Röbel wird am Sonntag Schröder wählen. Auch, weil er mitfühlt mit einem, dem nachdrängende Leute in den Arsch treten wollen, die jünger sind und ihm in Wesen und Haltung fremd. Anders als in seinem Fall sagt Merkel zu Schröder immerhin offen, dass sie seinen Posten will.
Aber: Vorbei. Das und vor allem auch die Schizophrenie der Jahrzehnte. Er hat ein bisschen Geld. Er schreibt gerade seinen nächsten Roman. Jetzt kommt auch noch der Bote und bringt die zwei Schachteln Zigaretten. „Ich spüre eine unglaubliche Freiheit“, sagt Udo Röbel. Genauso kommt er einem vor. Dass es das noch gibt in Deutschland: Da sitzt ein fröhlicher Mensch.