: Nicht gut getan
Rund um das Samstagabendspiel in Dortmund gegen Leipzig blieb es zum Glück friedlich. Dafür bekamen die Zuschauer europäischen Spitzenfußball zu sehen, wenn auch vornehmlich von den Gästen
Aus Dortmund Daniel Theweleit
Ein seltsames Gefühl der Ratlosigkeit lag nach Schlusspfiff über dem Dortmunder Westfalenstadion, so richtig wussten die fast 80.000 Menschen in Schwarz-Gelb nicht, was sie fühlen sollten. Einerseits hatten sie soeben ein hinreißendes Fußballspiel gesehen, fünf Tore, Mannschaften, die leidenschaftlich gekämpft hatten, einen Platzverweis für jeden, Videobeweis-Dramen und die Intensität einer großen Rivalität. Dortmund bleibt auch unter Trainer Peter Bosz ein Team allerfeinster Sportunterhaltung, doch mit der 2:3-Niederlage gegen RB Leipzig ging nicht nur die Serie von 41 ungeschlagenen Bundesligapartien vor heimischem Publikum zu Ende, noch schmerzlicher ist ein schlimmer Verdacht, der immer klarer an Kontur gewinnt: Borussia Dortmund findet keine fußballerischen Erfolgskonzepte gegen Spitzenteams.
Zwar bleiben die Dortmunder Tabellenführer, die Duelle gegen Champions-League-Mannschaften gehen aber in schöner Regelmäßigkeit verloren: Tottenham, Madrid und nun Leipzig. Und der Trainer schiebt die Verantwortung immer wieder seiner jungen Mannschaft zu. „Wenn man jedes Mal zurückspielt zum Torwart und der muss einen langen Ball schlagen, das ist nicht unser Fußball“, zürnte Bosz, der ja immer wieder mit Jürgen Klopp verglichen wird. Doch Klopp ist ein Typ, der seine Spieler in Schutz nimmt und eigene Fehler sucht, sein holländischer Kollege ist da anders. Bosz beklagte, dass sein Sechser Nuri Şahin zu selten angespielt wurde, „wenn die Druck machen, dann sind die Räume da, die haben wir nicht genutzt. Das haben wir nicht gut getan.“
Der Kollege Hasenhüttl lächelte zufrieden, während er diesen Worten lauschte, dann erwiderte er ungefragt: „Wenn der Kollege davon spricht, dass er die Sechs suchen wollte: Wir haben schon auch versucht, den Gegner in gewisse Räume zu locken und dort zuzugreifen.“ RB hatte eine hoch unangenehme Gegenstrategie, die vermutlich sogar dem FC Barcelona Schwierigkeiten beim gepflegten Spielaufbau bereitet hätte.
So langsam zeigt sich ein Muster im Saisonverlauf der Dortmunder: Gegen körperlich sehr starke, aggressiv und planvoll pressende Teams, die überdies gut kontern, funktioniert der Fußball von Peter Bosz bisher nicht. Der 53-Jährige fand, dass seine Spieler noch mutiger agieren sollten, aber vermutlich wären dann auch noch fatalere Fehler im Spielaufbau passiert. Denn es gibt Akteure beim BVB, die jung, unerfahren oder fußballerisch limitiert sind und sich womöglich überfordert fühlen, wenn hoch komplizierte Weltklasseaktionen von ihnen verlangt werden.
„Wir können natürlich auch nicht zu viel Risiko nehmen, weil Fehler von denen sofort bestraft werden“, widersprach Julian Weigl seinem Trainer. Der Nationalspieler hatte in der Halbzeit den heillos überforderten Nuri Şahin ersetzt, dann aber im Bemühen um einen sortierten Spielaufbau umgehend jenen Fehler produziert, in dessen Folge Sokratis den Elfmeter zum 1:3 verursachte und vom Platz flog.
Es gibt Trainer, die passen die eigene Spielweise je nach Anforderung an, die variieren System und Strategie, bereiten sich akribisch auf Stärken und Schwächen des jeweiligen Gegners vor. „Ich brauchte heute Spieler auf dem Platz, die unter der Woche die Abläufe verinnerlichen konnten“, beschrieb Hasenhüttl diesen Prozess. Bosz lauschte interessiert, der Holländer ist aber eher der Typ, der versucht, den eigenen Stil zu perfektionieren, statt sich an Gegnern zu orientieren. Zumindest an diesem Tag war die Leipziger Arbeitsweise erfolgreicher.
Der erfreulichste Aspekt aus Dortmunder Sicht war daher neben dem großen Unterhaltungswert des Abends das Verhalten der Fans. Zwar bekundeten sie mit ihrem Protestmarsch vor dem Anpfiff und vielen Transparenten erneut ihre tiefe Abneigung gegenüber dem von einem Getränkeproduzenten ins Leben gerufenen Leipziger Fußballprojekt; im Gegensatz zum vorigen Gastspiel der Leipziger blieben sie aber friedlich. Die Südtribüne kommentierte die Vorgeschichte mit zur Gewalt aufrufenden, teilweise justiziablen Transparenten, die beim Februar-Besuch von RB entrollt worden waren, sogar mit einer gewissen Selbstironie. „Die Wand der Schande grüßt die Schande der Liga“ stand auf einem riesigen Transparent vor der gelben Wand.
Auch das sorgte bei manchen Kommentatoren für Empörung, bei genauer Betrachtung gaben die Dortmunder Anhänger mit diesem Kommentar aber eher ihre selbstherrliche Haltung gegenüber dem vermeintlichen Retortenklub auf. Die Botschaft: Ihr habt eure Schwächen und Abgründe, wir auch. Man kann das Transparent als eigenwilliges Versöhnungsangebot betrachten, wobei nach dem Abpfiff auch ein weniger freundliches Banner auftauchte: „Zimmer sind reserviert. Münsterstraße 204.“ – Das ist die Adresse der Dortmunder Unfallklinik. Zum Glück ist es auch in der Nacht ruhig geblieben.
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