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Amüsanter Holzkopf

Wenn sich Stefanie Oberhoffs kettenrauchende Stabpuppe beim Festival „Theater der Dinge“ gekonnt durch den Abend plaudert, wird einem die Relevanz des Puppentheaters aufs Schönste bewusst

Von Katja Kollmann

Volle Lippen, tiefliegende Augen und ein zerfurchtes Gesicht … Stuttgarts Gräfin versprüht in der Schaubude schwarzen Humor. Stefanie Oberhoff macht in der baden-württembergischen Landeshauptstadt politisches Kabarett mit einer Holzpuppe und wurde zum Berliner Festival „Theater der Dinge“ eingeladen. In ihrer Late-Night-Show kommentiert sie bissig das Festivalmotto „Rebell Boy“. Das klappt gut, denn Oberhoffs Gräfin ist eine extrem abgeklärte Frau. So plaudert sich diese kettenrauchende Stabpuppe gekonnt durch den Abend und erscheint als Inkarnation einer durchreflektierten, ironiegesättigten Existenz. Mit jeder kleinen Wendung, die Stefanie Oberhoff der Puppe gibt, zeigt dieser Holzkopf andere Nuancen und die dunkle Raucherstimme der Puppenspielerin erfüllt dieses kleine Stück Materie mit gelebtem Leben. Die Gräfin ist wahrscheinlich die erste Puppe überhaupt, die einen Pooldance hinlegt und das noch in der Bewegung ironisch bricht!

Matija Solce vom tschechisch-slowenischen Teatro Matita hat einen Pandabären mitgebracht und einen kleinen Sarg. Den öffnet er und holt allerlei Knochen raus, die als Fische, Hunde oder anders Getier nun „Happy ­Bones“ geworden sind. Solce ist eigentlich eine Soundmaschine. Er wechselt in rasender Geschwindigkeit die Knochenteile, und für jede neu zusammengesetzte Knochenkonstellation hat er einen eigene Soundmelodie kreiert! Der Puppenspieler exerziert mit den Knochen klassische zwischenmenschliche Grundsituationen durch wie Bevormundung, Verdrängung, Machterhalt usw. Dem Panda in seiner Hand gibt Solce so viel Persönlichkeit, dass dieser sich von der Hand des Spielers befreien möchte und nach einem kurzen Kampf über die Bühne fliegt. Überhaupt hebt Matija Solce die natürlichen Hier­archien des Körpers auf, seine Hände führen als Objekte oft ein Eigenleben. Man beobachtet seinen Kampf mit der widerspenstigen Hand. Sieht die Knochen tanzen und bläffen. Begleitet den Panda bei seinem Traumflug über die Grenzen, die für ihn keine sind – und jetzt reflektiert man als ernsthafter Zuschauer das Festivalmotto und es erscheint ganz einfach: Rebellion ist, wenn man vorhandene Zustände nicht mehr akzeptiert und dementsprechend handelt.

Puppenspieler haben Macht – über ihre Puppen. Es macht Freude zu sehen, wenn sie versuchen, diese absolutistische Macht zu brechen. Es gibt Puppen, die sind als Figuren so streng festgelegt, dass es schwer ist, sie loszulassen. Gebr. Menzel & Söhne aus Berlin hat mit „Kasper unser“ ein Aufbrechen dieser traditionellsten Puppentheaterfigur probiert. Kasper ist alt geworden, auch sein Gesicht ist, wie das der Stuttgarter Gräfin, zerfurcht. Er ist immer noch im gleichen Metier tätig, dem Puppentheater, und reflektiert nun mit seinen Angestellten, dem schwulen Seppel und dem Migranten Krokodil, als langjähriger Theatermacher seine Situation.

Hans-Jochen Menzel ist ein erfahrener Puppenspieler, er begann seine professionelle Laufbahn in der DDR und setzte sie im wiedervereinigten Deutschland fort. Der Kasper ist also sein Alter Ego. Es ist ein trauriger, resignierter, mit bitterem Humor gewürzter Blick auf die aktuelle Lage der PuppenspielerInnen in Berlin. Die Inszenierung ist seit vielen Jahren die erste Eigenproduktion, die sich die Schaubude leisten kann. Im Rahmen des geförderten Festivals ist das möglich. Aus dem zu DDR-Zeiten überregional bekannten „Puppentheater Berlin“ an der Greifswalder Straße ist ein reines Gastspielhaus geworden. Während des Festivals ist das Haus brechend voll. PuppenspielerInnen aus der ganzen Welt treffen sich und tauschen sich aus. Bis zu vier Vorstellungen gibt es auf einer einzigen Bühne an einem Abend. Heute zeigt Ariel Doron „Pinhas“, den ersten israelischen Kasper, und lässt diesen die israelischen Verhältnisse kommentieren. Und morgen, am letzten Tag des Festivals, sucht die „Arab Puppet Theatre Foundation“ aus dem Libanon „dringend Publikum“ für ihre Performance über Fluchtbewegungen – betrachtet aus arabischer Perspektive. Die Stuttgarter Gräfin zeichnet sich durch eine herrlich charmante Motivationsarmut aus – und aus dieser Resistenz, die ja schon fast wieder Rebellion ist, entsteht die beste Performance.

www.schaubude.berlin/spielplan/theater-der-dinge-2017/programm/

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