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Mit neuen Ideen zurück in den Job

Wie lassen sich Beruf und Familie besser miteinander vereinbaren? In den Elternzeit-„Basecamps“ des Anbieters „Elterngarten“ sollen Mütter und Väter genau das herausfinden

VON BIRK GRÜLING

Am Ende ihrer zweiten Elternzeit sehnte sich Christin Deege nach einer beruflichen Veränderung. Lange hatte sie in einem Verein für internationalen Jugendaustausch die gesamte Büroarbeit übernommen. Das Thema „Interkultureller Austausch“ habe ihr weiter am Herzen gelegen, erzählt die Hamburgerin – doch die konkrete Arbeit sei kaum noch erfüllend gewesen. „Ich habe mir in der Elternzeit viele Fragen gestellt und gleichzeitig gemerkt, dass ich für ihre Beantwortung Unterstützung benötige.“ Durch Zufall stieß sie auf das Angebot des Münchner Start-ups „Elterngarten“. In bundesweit neun Städten bietet das Unternehmen Gruppencoaching für Mütter und Väter in Elternzeit an.

Im Verlauf von fünf jeweils 90-minütigen Treffen – „Basecamps“ genannt, also „Basislager“ – arbeiten die Eltern mit einem professionellen Coach an der persönlichen und beruflichen Weiterentwicklung. Und während sich die Eltern Gedanken um ihre eigene Zukunft machen, kann der Nachwuchs ganz entspannt miteinander spielen. Die Teilnahme am „Basecamp“ soll genauso gut in den Familienalltag passen wie eine Krabbelgruppe oder die Babymassage. Die Kosten für das Coaching richten sich nach der Höhe des Elterngeldes und liegen zwischen 240 bis 390 Euro.

Entwickelt hat das „Elterngarten“-Konzept die ehemalige Unternehmensberaterin Tanja Misiak – während ihrer eigenen zweiten Babypause: auf langen Spaziergängen, und während das Kleine Mittagsschlaf hielt. Was nach Stress klingen könnte, sei für sie ein idealer Ausgleich gewesen, sagt Misiak: „Elternzeit ist nicht nur für das Kind und die Familie wertvoll. Der räumliche und zeitliche Abstand vom Job ist auch ein idealer Zeitpunkt für bewusste Entscheidungen über die persönliche und berufliche Weiterentwicklung.“ Aus Misiaks Sicht können davon nicht nur die Eltern profitieren, sondern auch deren Arbeitgeber: Wenn sich Mütter und Väter aktiv auf den Wiedereinstieg vorbereiten, sorgt das für mehr Klarheit und beugt Konflikten vor.

Die Chance, aktiv über ihre Zukunftspläne nachzudenken, wollte auch Christin Deege nutzen und meldete sich für die Hamburger „Elterngarten“-Gruppe an. Ihr schwebte dabei keineswegs ein Surfshop auf den Bahamas als Lebenstraum vor. Vielmehr ging es um ein konkretes Angebot ihres Arbeitgebers: Sie sollte neue Bildungsangebote entwickeln, für Ehrenamtliche, Lehrkräfte und Jugendliche. „Ich war mir anfangs nicht sicher, ob ich dieser neuen Aufgabe gewachsen bin. Immerhin waren die Anforderungen deutlich höher als bei der Büro-Administration.“ Hinzu kamen Zweifel an der Wohnsituation der jungen Familie: Privat an Nachhaltigkeit und Minimalismus interessiert, suchten Deege und ihr Mann schon länger nach Möglichkeiten, sich mit Gleichgesinnten für ein Wohnprojekt zusammenzutun.

Basislager im Norden

In Norddeutschland gibt es zwei Elterngarten-Stützpunkte: In Kiel und Hamburg werden regelmäßig Elternzeit-“Basecamps“ angeboten.

Mehr Informationen unter www.elterngarten.org/elternzeit-basecamp

Melanie Couson leitet die Hamburger Elternzeit-“Basecamps“. Die Ärztin für Psychosomatik hat selbst einige Erfahrung mit der beruflichen Umorientierung in der Elternzeit: Nach der Geburt ihrer Söhne wollte sie nicht zurück in den hektischen Klinikalltag und entschied sich für eine Weiterbildung zum Coach. Heute begleitet sie vor allem Mütter. „Ich möchte die Frauen dabei unterstützen, Familie, Partnerschaft und Beruf gut miteinander zu vereinbaren“, sagt sie. Ein erster Schritt sei immer die Frage: „Wo stehe ich eigentlich?“ In den ersten gemeinsamen Elterngarten-Treffen sprechen die Teilnehmerinnen deshalb vor allem über ihr Können und Wissen. Auch die Ansprüche an sich, der Partner, aber auch der Arbeitgeber sind wichtige Themen. Im nächsten Schritt formulieren Teilnehmerinnen und Teilnehmer eigene Wünsche für die nahe berufliche und private Zukunft – und entwickeln am Ende einen individuellen Fünf-Jahres-Plan.

Der Beratungsbedarf zum Thema Vereinbarkeit ist gerade bei Frauen groß. Während die meisten Väter nach der Geburt weiter in Vollzeit arbeiten, verschieben sich bei den Müttern die Prioritäten deutlich: Die Familie rückt in den Fokus, viele Frauen stecken zurück. So hat die Zahl der berufstätigen Frauen in den vergangenen zehn Jahren zwar deutlich zugenommen, Mütter arbeiten hierzulande jedoch meist in Teilzeit – eine traditionelle Rollenverteilung, mit der sich nicht alle Frauen abfinden wollen: „Viele Teilnehmerinnen sind gut ausgebildet und arbeiteten in Führungspositionen“, sagt Couson. „Sie wünschen sich nach Ende der Elternzeit neben einer beruflichen Weiterentwicklung oft auch eine partnerschaftliche Aufteilung von Familie und Beruf. Deshalb sprechen wir im Coaching auch viel über die Partnerschaft.“

Aus Deeges Sicht ist diese Kombination ideal. Sie bekam im Elterngarten die nötige Bestätigung, um den neuen Job anzunehmen. „Alle Teilnehmerinnen haben mich darin bestärkt, an meine Fähigkeiten zu glauben“, erzählt sie. „Ich merkte außerdem, dass mir das Entwickeln von Konzepten und das strategische Denken durchaus liegt.“ Auch privat konnte sie von der Erfahrung profitieren: Gemeinsam mit ihrem Mann arbeitet sie nun bewusster an der Partnerschaft und sucht aktiv nach einem passenden Wohnprojekt.

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