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„Wir erhoffen uns gesellschaftlichen Impact“

Kampnagel-Intendantin Amelie Deuflhard und Dramaturgin Uta Lambertz über die neue Spielzeit und Arbeit mit Geflüchteten

Keine Berührungsängste: Mandeep Raikhy führt im Stück „Queen Size“ ins Schlafzimmer zweier Männer Foto: Hari Adivarekar

Interview Katrin Ullmann

taz: Frau Deuflhard, Frau Lambertz, anderthalb Wochen dauert diesmal die Kampnagel-Spielzeiteröffnung. Warum brauchen Sie so viel Zeit?

Amelie Deuflhard: Wir machen das gern so lange, weil unsere Eröffnungen auch eine kompakte Beschreibung dessen sind, wie unsere gesamte Spielzeit aussieht. Wir arbeiten Themen oft über Jahre aufeinander auf und deklinieren sie aus.

„Openhaus“ ist also ein nächster Schritt in der Arbeit mit Geflüchteten?

Es ist erst mal die Behauptung, Kampnagel als gesellschaftliches Modell zu verstehen. Hier gibt es keine Grenzen, alle sind willkommen, egal, welcher Herkunft oder sexueller Ausrichtung. Das ist für uns ein nächster Schritt, weil es jetzt nicht mehr um die Unterbringung und Versorgung von Geflüchteten geht, sondern um die Frage, wie wir das gemeinsame Leben gestalten können, wie Zugänge in die Gesellschaft geschaffen werden können. Unsere Vorschläge sind immer künstlerisch-experimentell, wir erhoffen uns aber, gesellschaftlichen Impact zu schaffen.

Sie wenden sich also ganz konkret beispielsweise gegen die Diskussion von Obergrenzen für Geflüchtete?

Diese Frage stellen vor allem die Rechten und alle Parteien, die rechte Stimmen zurückerobern wollen. Wir haben den Flüchtlingsstrom in Deutschland sehr gut aufgefangen. Die Forderung nach Obergrenzen ist populistisch – und wäre verfassungswidrig.

Wie könnte ein positives Gegenmodell aussehen?

Wir sollten uns damit beschäftigen, wie wir mit diesen Flüchtlingswellen produktiv umgehen. Wie schaffen wir es, dass wir die Menschen, die hergekommen sind, nicht als Gefahr sehen, sondern sie zum Teil unserer Gesellschaft werden lassen? Das ist die einzige sinnstiftende Methode, gegen die Rechten und ihre Modelle der Ausgrenzung vorzugehen.

Foto: Marcelo Hernandez

Amelie Deuflhard

57, leitet die Kulturfabrik Kampnagel seit 2007.

Und wie sehen die künstlerischen Vorschläge konkret aus?

Zur Eröffnung zeigen wir „Die Selfmade-Aristokratie“ von Monika Gintersdorfer und ihrer neuen Gruppe „La Fleur“. Diese Arbeit ist ein sehr schönes Beispiel für Zusammenarbeit zwischen deutschen Künstlern und Künstlern, die von der Elfenbeinküste kommen und heute zum Teil in Paris leben. Sie alle pendeln selbstverständlich zwischen ihren westafrikanischen Heimatländern, Frankreich und Deutschland hin und her und verhandeln ihre unterschiedlichen Kulturen und Erfahrungen in einem künstlerischen Übersetzungsprozess.

Worum geht es im Stück?

Es geht um eine Befragung des Werks von Balzac, der im 19. Jahrhundert ein großes Sittengemälde der Gesellschaft geschaffen hat. Insbesondere geht es um die Emporkömmlinge, die sich in die höheren Schichten reingeschlichen haben. Mit ihren Akteuren befragt Gintersdorfer die Balzac-Vorlage und zeigt die Überschreitung von Herkunftsbarrieren mittels Behauptung.

Auch der Choreograf Sidi Larbi Cherkaoui setzt sich in seinem Stück „Fractus V“ mit Identitätsbrüchen auseinander.

Cherkaoui ist für unsere Eröffnung der perfekte Künstler, da er sich in seinen tänzerischen Arbeiten immer mit verschiedenen Kulturen auseinandersetzt, immer als Forschender in andere Länder reist und sich mit anderen Kulturen konfrontiert. Es ist sein Lebensthema, vielleicht, weil er selbst Einwanderer ist. Jetzt macht er ein Stück, in dem er sich – mit Tänzern und Musikern aus acht verschiedenen Ländern – mit den Identitätsbrüchen in unserer Gesellschaft beschäftigt, aber auch mit der Frage, wie sich das Individuum vor medialem Einfluss und politischer Propaganda schützen kann.

Foto: Janto Djassi

Uta Lambertz

34, ist Dramaturgin auf Kampnagel.

Ganz konkret wird die Bühne bei der Performancegruppe „God’ s Entertainment“ zum Begegnungsraum.

Uta Lambertz: Die Gruppe verwandelt die Bühne in eine begehbare Stadt – mit Kirche, Moschee, Kaffeehaus. Es ist ein Mini-Modell der bosnischen Stadt Tarvik, Grundlage ist das Buch „Wesire und Konsuln“ des Literaturnobelpreisträgers Ivo Andrić, in dem der Balkan als permanente Konfliktzone zwischen Ost und West beschrieben wird.

Wie begegnen sich Orient und Okzident nun auf der Bühne?

Politische Vertreter treten mithilfe eines Übersetzers in Verhandlungen. Die Zuschauer in unserem Mini-Modell haben die Möglichkeit, sich in dieser Stadt, in der unterschiedlichste Aktionen stattfinden, frei zu bewegen. Sie können, wie in der Gesellschaft auch, entscheiden, inwieweit sie Teil einer Gemeinschaft sein möchten – oder nicht. Es ist aber kein Mitmach-Theater, bei dem die Zuschauer genötigt werden, irgendetwas zu performen.

Spielzeitauftakt „Openhaus“: bis 14. 10., Kampnagel

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