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„Angst macht konservativ“

Laut Polizei ist die Kriminalität in Hamburg zurückgegangen. Warum sich die Bewohner*innen aber nicht unbedingt sicherer fühlen, erklärt Kriminologe Nils Zurawski

Interview Marthe Ruddat

taz: Herr Zurawski, wie groß ist das Problem des subjektiven (Un-)Sicherheitsgefühls wirklich?

Nils Zurawski: Das Problem ist immer so groß, wie es gemacht wird. Wie will man es denn auch genau erheben? Auf einer Skala von eins bis zehn? Es wäre doch immer die Frage, wer wo nach was gefragt wird.

Was glauben Sie, wovon das eigene Sicherheitsgefühl abhängig ist?

Das ist schwer zu sagen, weil es ganz verschiedene Faktoren sind: das Alter, das Geschlecht oder beispielsweise ein prekärer sozialer Status. Auslöser für ein akutes Unsicherheitsgefühl kann auch ein aktuelles Ereignis sein, beispielsweise ein Terroranschlag, der sich besonders nah anfühlt.

Laut aktueller Kriminalstatistik sind die Zahlen der Verbrechen in Hamburg zurückgegangen. Können diese Zahlen den Hamburger*innen helfen, sich sicherer zu fühlen?

Man muss genau beachten, was diese Kriminalstatistik ist: eine Anzeigenstatistik, ein Tätigkeitsbericht der Polizei. Sie gibt nur wieder, welche Delikte angezeigt wurden und in welchen Fällen die Polizei ermittelt, weil sie irgendwelche Hinweise hatte. Was nicht darin steht, ist etwa, wer von welcher Straftat betroffen ist. Manche Delikte fließen in diese Statistik auch gar nicht ein. Deshalb glaube ich, dass solche Zahlen bei subjektiver Unsicherheit auch nur bedingt helfen können.

Was könnte konkret helfen?

In einem früheren Interview habe ich mal gesagt: Angst macht enorm konservativ. Wenn ich also einen offenen und positiven Umgang mit meinen Mitmenschen und der Umwelt pflege, dann ist das beim Thema Sicherheitsgefühl nur hilfreich. Man müsste eine positivere öffentliche Diskussion prägen und mit schwierigen Themen sensibler umgehen.

Ein Beispiel?

Im Zusammenhang mit Flüchtlingen wurde immer von einer Krise gesprochen, dabei gab es gar keine Krise. Da sind Menschen zu uns gekommen, wir haben sie aufgenommen, und das klappte auch mehr oder weniger ganz gut. Wenn man mit solchen Begriffen vorsichtiger umgehen würde, würde schon mal viel Unsicherheit wegfallen.

Nils Zurawski

48, arbeitet am Institut für Kriminologische Sozialforschung der Universität Hamburg. Seine Habilitationsschrift handelte von den Zusammenhängen zwischen Überwachung und Weltbild.

Also liegt die Verantwortung auch in der Politik, die solche Begriffe mit prägt?

Definitiv. Subjektive Unsicherheit ist als politisches Ins­trument äußerst machtvoll. In einer Welt, in der die Kriminalität tendenziell sinkt, wird den Menschen trotzdem suggeriert, dass sie einer Bedrohung ausgesetzt sind. Oft werden dafür Einzelfälle rausgepickt, das finde ich unredlich. Es wäre an der Zeit, den Leuten aufzuzeigen, wie sicher Deutschland ist. Kriminalität ist nicht abzuschaffen, aber sie ist auf einem sehr niedrigen Stand. Es gibt viel wichtigere Themen als die innere Sicherheit. Trotzdem stand sie bei der Bundestagswahl im Mittelpunkt.

Hilft mehr Polizeipräsenz dabei, Angst einzudämmen?

Das ist immer nur punktuell. Gegen eine diffuse Angst hilft das natürlich nicht. Wir wollen schnelle Lösungen. Sich zusammenzusetzen und sich auseinandersetzen ist aber anstrengend. Würden wir versuchen, die Probleme im Kern zu verstehen, dann würden neue Blickweisen entstehen. Weniger anstrengend ist es, wenn jemand direkt eine Lösung verspricht.

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