Die Macht der Emotionen
Verwischen die Grenzen zwischen dem Politischen und dem Privaten? Im Maxim Gorki Theater geht es bei den „Berliner Korrespondenzen“ um den Zusammenhang zwischen Gefühlen, Sprache und Politik
Von Sophie Jung
„Manchmal glaubt die Linke einfach zu sehr an die Rationalität und zu wenig an die Macht der Wut, der Empörung und des Abscheus.“ – Zehn Tage nach der Wahl des neuen US-amerikanischen Präsidenten Donald Trump rief Eva Illouz in einem Interview mit der FAZ die Linke auf, endlich Emotionen in ihre Politik einfließen zu lassen. Nicht derart anstandslos und regelbrecherisch wie der neue Präsident seither über die Medien Zorn und Hitze verbreitet, sondern „kreativ und nah am Menschen“, sagt Illouz.
Wer, wenn nicht Eva Illouz, kann so entschieden über Emotionen und Gesellschaft sprechen. Sie ist die große Meisterin einer Soziologie der Gefühle. Ihre bahnbrechende Studie „Warum Liebe wehtut“, 2011 auf Deutsch erschienen, ist ein Panoptikum der Liebe vom Mittelalter bis zur Gegenwart. Für heutige Liebesbeziehungen fällt ihre Analyse fatal aus: Wir sind überfordert von den nebulösen und ungewissen Verhältnissen der Liebe. Was einst Loyalität, feste Bindungen und klare Rollen bedeutete, ist heute in einem Chaos des Individualismus untergegangen. Die Liebe sei ein Markt, auf dem sich jeder feilbietet, stets versucht, aus der Masse herauszuragen.
Man muss Illouz nicht zustimmen, doch ihre kapitalismuskritischen Beobachtungen über die Liebe zeigen eine scharfe Analyse über heutige Formen der Zwischenmenschlichkeit. Etwa wenn sie ihr Konzept vom Liebesmarkt quasi auf den Onlinehandel ausweitet und dabei Technik und Medien in ihrer Beobachtungen einfließen lässt. Ihre jüngeren Untersuchungen zu Internet-Kontaktbörsen beinhalten etwa ausgiebige Beschreibungen einer neuen Form von erotischer Vorstellung: Sie basiere nämlich nicht mehr auf dem Körper und den sinnlichen, vergangenen Erfahrungen, die unsere Imaginationen beflügeln. Stattdessen antizipieren wir sie auf der Basis von Sprache. Profilbeschreibung, Chats, Posts, Tweets – Erotik wird ein linguistisches Phänomen, stellt sie fest. Wenn Sprache durch soziale Medien in das Körperlichste und Urgefühligste unseres Daseins gelangt sind, wie bestimmen diese Zustände andere Emotionen?
Am kommenden Sonntag wird Eva Illouz im Maxim Gorki Theater auf die Psychologin Jule Specht treffen. Im Rahmen der Berliner Korrespondenzen, in der regelmäßig internationale DenkerInnen mit WissenschaftlerInnen von der Humboldt-Universität zusammenkommen, werden sich Specht und Illouz in der Schnittmenge von Soziologie und Psychologie über Gefühle, Politik und Sprache in den sozialen Medien unterhalten.
Juniorprofessorin Jule Specht bewegt sich auf dem Treffen im Gorki-Theater zwar weg von ihren akademischen Forschungen über Persönlichkeitsentwicklung und subjektives Wohlbefinden, doch in ihren populärwissenschaftlichen Artikeln knüpft auch sie an die Zusammenhänge von Sprache, Medien und Politik an. Während des Bundestagswahlkampfs beobachtete sie für die Psychologie Heute die Gefühle, die Parteien über die Slogans ihrer Werbeauftritte vermittelten.
Mithilfe des Linguistic Inquiry and Word Count (kurz: LIWC) arbeitete Specht heraus, die SPD gebe sich „gemeinschaftlich, positiv, selbstsicher, mit Fokus auf der Vergangenheit“. Die CDU hingegen „strahlt viele positive Emotionen aus, gibt sich aber weniger selbstsicher und kommunikativ“, urteilt Specht. Der amerikanische Psychologe James Pennebecker hat den LIWC bereits für Hillary Clinton und Donald Trump angewandt. Offen und kooperativ sei Clinton, Donald Trump hingegen pessimistisch und machthaberisch.
Dass Personen aus der Politik derartige Gefühle bei Menschen – etwa bei Wahlen – hervorrufen können, hält Eva Illouz in einem Vortrag, den sie 2016 auf dem taz-Kongress hielt, für notwendig. Denn Emotionen bildeten die Grundlage für eine politische Haltung, argumentiert sie. Und es ist diese Haltung, die einen schließlich auch das Kreuzchen während der Wahl setzen ließe.
Jule Specht warnt jedoch in ihren Artikeln vor der Gefahr, die ein Zuviel an Sprache und Emotion hervorrufen kann: die Irritation. Mit Verweis auf Peter Strohschneiders, Gedanken zu einer „Kultur der Irritationsvermeidung“ ruft sie in Erinnerung, dass als Reaktion auf eine komplexe Welt immer mehr Menschen dem Populismus verfallen können, da dieser „mit einfachen Antworten von Komplexität und Irritationen entlastet“.
Populismus, Vermeidung von Komplexität und Sprache in den Medien – diese Begriffe bündeln sich wieder bei der Person Donald Trumps. Der Gift und Galle twitternde US-Präsident verletzte nämlich mit seinen spontanen Ausbrüchen über die sozialen Medien nicht nur die Etikette der Politik, sondern er übertrete auch die Grenze zwischen dem Privaten und dem Politischen. „Eine Privatperson an der Spitze eines Staates?“ ist die Leitfrage der Veranstaltung im Gorki-Theater. Und weiter heißt es in der Ankündigung: „Die Grenzen zwischen dem Politischen und dem Privaten werden scheinbar porös.“
In einem Gespräch vorab wehrt Jule Specht den Subton einer drohenden Gefahr jedoch ab: „Ich denke schon, dass sich das Politische und Private miteinander vermischt, dass das aber schon früher so war, nur jetzt transparenter wird. Es scheint mir kaum möglich, eine kluge und bedeutungsvolle politische Entscheidung zu treffen, ohne persönliche Werte dabei einfließen zu lassen.“