piwik no script img

Tanz den Eisbär

Performen zwischen Tier und Mensch: die Reihen „Der Maulwurf macht weiter“ am Hebbel am Ufer und „Tierforme/l/n“ in den Sophiensælen

von Astrid Kaminski

Wer ist eigentlich das Tier? Motte, Maulwurf oder doch der Mensch? Zur Saisoneröffnung im Hebbel am Ufer (HAU) und in den Sophiensælen gehen zwei facettenreich kuratierte Themenblöcke dieser derzeit im Kunstkontext weiterhin schwelenden Frage nach.

„Der Maulwurf macht weiter“ (des HAU-Teams) und „Tierforme/l/n“ (von Martin Nachbar, Sigrid Gareis, Silke Bake, Sophiensæle) deklinieren ästhetisch sämtliche Bezugssysteme durch: das Tier als Allegorie, Parabel, der/die/das (konstruierte) Andere, als Spiegel. Magische Konzepte, beispielsweise die von verschiedenen Amazonasstämmen praktizierten Tierverwandlungen, spielen dieses Mal eher implizit eine Rolle, haben sie doch Maßstäbe für Bühne und Forschung gesetzt.

„Tier imitieren“ oder „Tier werden“, das ist dann auch die Frage, die Martin Nachbar im Bezug auf Simone Fortis „Zoo Mantras“ (1968) stellt. Der Berliner Choreograf hat die skizzenhaften Scores der Postmoderne-Ikone nun zur deutschen Erstaufführung gebracht. Die tänzerischen Miniaturen sind nach Skizzen von Zootieren entstanden, etwa zum Flamingo, Eisbär oder Wasserfloh. Nachahmung scheint bei der tänzerischen Umsetzung jedoch einfacher als Verwandlung zu sein: Während die Forti-Tänzerin Claire Filmon sich in die Gliedmaßen des Flamingos hineinträumt und so eine ganz andere Körperlichkeit ausstrahlt, versucht Nachbar, tatsächlich im Stehen in Schlaf zu fallen – eine Anstrengung, die ihn dem Flamingo in den Augen der Betrachterin nicht wirklich nahe­bringt.

Interessant ist es, die verschiedenen Ansätze im Begleitprogramm mit unterschiedlichsten Tier-Künstler*innen ausprobieren und diskutieren zu können. Die Kniebewegungen eines Krokodils sind Schwerstarbeit. Das Knie muss als Sprungfeder funktionieren, der Körper so gespannt sein, dass er den Schwung aufnimmt und nicht durch Reibung an den Untergrund verliert.

Spielt die Katze mit mir?

Schwung entfaltet auch die Diskussion über das Esel-Bühnenstück „Balthazar“ von David Weber-Krebs, das 2015 am HAU zu sehen war. Wann lachen wir? An Stellen, an denen der Esel seinen scheinbar animalischen Trieben nachgeht, wie etwa seiner Notdurft zum Sound von klassischer Musik. Wie viel Überlegenheitsanspruch liegt in dieser Wahrnehmung? Oder, nach Montaigne: Wenn ich mit meiner Katze spiele, wer sagt, dass sie nicht mit mir spielt?

Im HAU, wo das Motiv des marxistisch-revolutionären Maulwurfs, der ein ganzes Fußballfeld über Nacht von unten umkrempelt, gewählt wurde, stehen noch bis zum Wochenende in Vorträgen (unter anderem ist Jack Halberstam endlich wieder in Berlin), Filmen und Performances vor allem die Ordnungen von Bezugssystemen im Vordergrund. Vor der Abstraktion menschengemachter Systeme sind Mensch und Tier zuweilen ähnlich hilflos. Das kommt in Melanie Bonajos Film „Manimal“, wenn Männer im Manager-Outfit mit Tieren schmusen, ganz anders zum Ausdruck als in Sarah Vanhees Gefängnisfilm „The Making of Justice“: Justiz, sagt einer der wegen Mordes Verurteilten, sei die Anwendung von Regeln und Gerechtigkeit eine Fähigkeit des Menschen. Das würde tier vielleicht auch anders sehen.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen