: Die Schichtarbeiterin
Berufsporträt Vergolderin Michelle Sachs veredelt Wände, Bilder und Möbel mit Blattmetall. Und derzeit die Berliner Staatsoper. Einen Ausbildungsplatz für dieses Kunsthandwerk zu bekommen, ist aber schwierig
Von Katja-Barbara Heine
Es ist nicht alles Gold, was glänzt: Die Berliner Staatsoper muss sparen. Wenn das Konzerthaus am 3. Oktober nach sieben Jahren Sanierungsarbeiten wieder eröffnet, werden die Zierleisten auf den cremefarbenen Wänden mit Messing verkleidet sein. „Bei der letzten Restaurierung in den 1980er Jahren wurde teilweise noch Blattgold verwendet“, sagt Michelle Sachs, die mit ihrem Team von sechs Restauratoren für diese Aufgabe zuständig ist. „Doch für den Laien ist der Unterschied nicht erkennbar.“ Messing hat neben dem günstigeren Preis weitere Vorteile: Es ist, auch ganz dünn ausgerollt, robuster und lässt sich einfacher an der Wand anbringen als feines, empfindliches Blattgold.
Das Prozedere ist dennoch aufwendig: Zunächst wird die vergoldete Verzierungsleiste angeschliffen. Sie wird abgestaubt und lackiert, darauf kommt das Klebemittel, das etwa eine Stunde antrocknen muss. Erst dann kann das Schlagmetall, das wie Klebeband aufgerollt ist, aufgelegt werden. Nach einem Tag Trockenzeit wird die Leiste poliert und lackiert. Insgesamt sechs Kilometer Leisten verschönert das Team in der Staatsoper auf diese Weise.
Michelle Sachs ist Vergolderin und damit beruflich eine ziemliche Exotin. In Berlin gibt es nur etwa 15 Personen, die dieses Kunsthandwerk ausüben und Oberflächen veredeln, indem sie Blattmetalle darauf anbringen. Die Berufsbezeichnung ist irreführend, neben Gold wird auch mit Kupfer, Silber, Platin und verschiedenen Legierungen gearbeitet, sagt Michelle Sachs. Dennoch war es der verheißungsvolle Klang des Worts „Vergolderin“, der sie beim Durchblättern der Broschüre des Arbeitsamts angesprochen hat. Und dazu führte, dass sie sich für diesen Beruf entschied.
Für angehende Vergolder ist es nicht leicht, einen Ausbildungsplatz zu finden, da das Handwerk immer seltener wird. Michelle Sachs hatte Glück, ein Berliner Rahmenhersteller, bei dem sie sich beworben hatte, sagte zu. Parallel dazu hatte sie drei Jahre lang Blockunterricht an der Münchner Berufsschule für Farbe und Gestaltung – die einzige Einrichtung in Deutschland, die diese Ausbildung anbietet. „In unserem Jahrgang waren wir 16 Schüler und damit eine der größeren Klassen.“
Vergolder arbeiten nur selten als Angestellte, die meisten sind Freiberufler. Auch Michelle Sachs gründete 2012, damals 28 Jahre alt, ihr eigenes Unternehmen: Goldsachs. Die Auftragslage ist unregelmäßig. Oft hangelt sie sich von Job zu Job. Mal eine Wand in einer Sauna, mal in einem Tabakladen, mal eine Lampe. „Und dann kommt plötzlich ein Großauftrag rein, wie der an der Staatsoper, und du musst über Nacht ein Team zusammentrommeln und bist plötzlich Chefin.“ Als Vergolderin müsse man sich durchboxen. Von Vorteil sei es, sich auf einen Bereich zu spezialisieren, etwa, so wie sie, auf Bauvergoldung.
Was sollte man für den Beruf mitbringen? Eine ruhige Hand, einen Hang zur Präzision und Geduld, denn die Arbeit mit dem Metall erfordert viel Feingefühl, vor allem die mit reinem Blattgold. Dieses ist das dehnbarste Metall der Welt und kann auf das Zehntausendstel eines Millimeters ausgeschlagen werden. In diesem hauchdünnen Zustand ist Gold fast transparent. Ein Blättchen reinstes Gold – also 24 Karat – im Standardformat acht mal acht Zentimeter kostet zwei Euro. Das scheint zunächst wenig. Doch: „Auf großen Flächen, etwa Gebäudekuppeln, wird das Gold in mehreren Schichten aufgelegt. Da kommt dann doch einiges zusammen.“
Der heikelste Moment beim Vergolden ist das „Anschießen“, der Moment, in dem das Metall auf die vorbereitete Oberfläche gelegt wird. Bei reinem Gold geht das nur mit einem speziellen Pinsel aus Haaren des sibirischen Eichhörnchens. Auch der Atem spielt eine große Rolle dabei, das Metall glatt auf die Oberfläche zu bekommen, und ein Blättchen, das knittert oder Falten wirft, zu „retten“.
Schon im alten Ägypten wurde vergoldet – das Handwerk hat sich über 4.000 Jahre hinweg kaum verändert. Und das ist es, was Michelle Sachs an ihrer Tätigkeit so liebt: Nicht nur etwa zu schaffen, was ihr und anderen Menschen Freude bereitet. Sondern auch etwas Bleibendes.
Mitunter ist der Job jedoch eine Herausforderung: Das Vergolden scheint nicht mehr in den hektischen Alltag von heute zu passen: „Manchmal ist es schwierig, Menschen zu vermitteln, dass die Arbeit dauert, vor allem durch die langen Trockenzeiten. Dass ich Schicht für Schicht arbeiten muss. Was nicht schneller geht. Dafür hat heute nicht jeder Verständnis.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen