: Die hohe Kultur des Wahlkampfs
Die Angst vor massiven Streichungen beim Hauptstadt-Kulturfonds dominiert die letzte Debatte im Abgeordnetenhaus vor der Bundestagswahl. CDU und SPD werfen sich gegenseitig vor, Streichlisten in der Schublade zu haben
Wenigstens eines ist positiv an der Debatte um die Zukunft des Hauptstadtkulturfonds: Das Klischee, Kultur tauge nicht zum Wahlkampfthema, ist widerlegt. Drei Tage vor der Bundestagswahl unterstellten ParteienvertreterInnen in der gestrigen Abgeordnetenhaus-Debatte einander um die Wette, Bundesgelder für kulturelle Einrichtungen und Veranstaltungen in Berlin kappen zu wollen.
Der Linkspartei-Fraktionsvorsitzende Stefan Liebich sagte, der als künftiger Kulturstaatsminister gehandelte CDU-Politiker Norbert Lammert bediene „alte Ressentiments“, nach denen alle für Berlin zahlen müssten. Und das, obwohl die Kultur-Kooperation zwischen Bund und Berlin in den vergangenen fünf Jahren etwas erreicht habe, das „weit über diese Stadt und über dieses Land hinaus“ wirke.
Lammert, Mitglied im CDU-Schattenkabinett, hatte angekündigt, der Hauptstadt-Kulturfonds müsse überdacht werden. Der Fonds ist Teil des Hauptstadtkulturvertrages und verteilt seit dem Jahr 2000 Gelder an „für Berlin als Bundeshauptstadt bedeutsame Einzelprojekte und Veranstaltungen“. Auch „besonders innovative“ Projekte oder solche mit „nationaler und internationaler Ausstrahlung“ werden unterstützt. Aus dem Etat der Bundeskulturstaatsministerin stehen dem Kulturfonds jährlich bis zu 10,2 Millionen Euro zur Verfügung. Insgesamt stellt der Bund pro Jahr rund 100 Millionen Euro im Rahmen des Hauptstadtkulturvertrages zur Verfügung. Mit ihnen werden vor allem übernommene Berliner Einrichtungen wie die Akademie der Künste oder das Jüdische Museum finanziert. Diesen Geldhahn, befürchten SPD, Linkspartei und Grüne, könnte die CDU zudrehen.
Die hiesige Unions-Spitzenkandidatin für die Bundestagswahl, Monika Grütters, warf dem Senat vor, von eigenen Versäumnissen abzulenken. Großes Gelächter gab es, als Grütters sagte, die SPD stelle einen Mann als Gefahr dar, der noch gar nicht gewählt sei. Der Grund: Der Kulturexpertin werden selbst Aspirationen auf den Staatsminister-Posten nachgesagt.
Grütters gab die Kürzungs-Vorwürfe an die SPD zurück. Mehrere Zeitungen hatten zu Wochenbeginn von einer „geheimen 30-Milliarden-Sparliste“ aus dem Bundesfinanzministerium geschrieben. Die darin geplanten Kürzungen treffen laut Grütters mehrere Kultureinrichtungen in Berlin, darunter die Museumsinsel.
Den Streit um Eichels angebliche Streichliste bezeichnete die kulturpolitische Sprecherin der Grünen, Alice Ströver, als „lächerlich“. „Solche Listen kursieren immer in Finanzministerien.“ Dem Senat warf Ströver vor, sich mit den Vorwürfen gegen Lammert aus der Verantwortung zu ziehen. Berlin lasse sich seine Kultur zu wenig kosten.
Die kulturpolitische Sprecherin der FDP, Sibylle Meister, klagte, statt in die Kultur flössen viele Fondsgelder in das Berliner Haushaltsloch.
Mit einem abgeänderten Schiller-Zitat wollte Unions-Frau Grütters punkten: „Wo linke Kräfte sinnlos walten, da Kunst und Muse schnell erkalten.“ Auf dem Weg zur Kulturstaatsministerin dürfte ihr das kaum helfen.
MATTHIAS LOHRE