: Ostexport 6: Händeschütteln
VON ISABEL LOTT
Aufgewachsen bin ich im katholischen Süden Deutschlands, mit der ständigen Aufforderung: „Gib die schöne Hand!“ Irgendwann empfand ich das Hände-schütteln-Müssen als uncool und verweigerte mich diesem Ritual konsequent. Ich sagte „Hallo!“ – mehr nicht.
Anfang der Achtziger zog ich nach Berlin und lernte einen anderen nonverbalen Begrüßungsterror kennen: die ständigen Umarmungen und Küsse, denen ich überall ausgeliefert war. Menschen, die ich kaum kannte, knutschten mich ab.
Wahnsinnig machte mich, wie völlig frei von Regeln diese Prozedur war: Mal gab es zwei, mal drei Küsschen. Wahlweise richtige oder nur leicht gehauchte. Feste Umarmungen oder nur angedeutete. Mir war das unangenehm, darum versuchte ich, all dem aus dem Weg zu gehen: Sobald Besuch kam, griff ich etwas Sperriges und hielt es im Arm oder verdrückte mich, bis die Gefahr vorüber war.
Dann fiel die Mauer und ich zog nach Ostberlin. Hier gaben mir meine neuen Bekannten bei jeder Begegnung die Hand. Auch in Runden von mehr als fünf Leuten zogen sie das konsequent durch. Das befremdete mich. In meinen Kreisen galt das als unlässig, gleichzeitig diente es mir aber als Erkennungszeichen: Aha! Aus dem Osten.
Aber je länger ich dort lebte, desto besser gefiel es mir: Treffen, Hand geben, „Guten Tag“ sagen, fertig. Nicht mehr dieses Rumlavieren: Muss ich diese Person jetzt umarmen?
Meine West-Freunde haben sich daran gewöhnt, dass ich zu einer Handschüttlerin geworden bin. Leider musste ich in letzter Zeit feststellen, dass auch der Osten anfängt, Bussi zu geben.
■ Isabel Lott ist taz-Fotoredakteurin. Geboren 1962 in Oberschwaben, lebt sie heute in Ostberlin