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Jenseits der Schönheit

DIY Amy Sillman kommt aus der New Yorker East-Village-Subkultur mit seinen Punk-Konzerten und Fanzines. Heute hat sie Erfolg auf dem globalen Kunstmarkt. Wie vereinbar das ist, kann man in ihrer Ausstellung prüfen

Eine sich in Scham und Verachtung zornig von der Welt abwendende Figur: Amy Sillman, „Song Cave“, 2017 Foto: John Berens

von Gunnar Luetzow

Kapitalismus geht eigentlich anders: Die Produktion der digitalen Monotypien, so ist auf der Rückseite der in der Galerie Capitain Petzel erhältlichen Werke zu lesen, habe 42 Dollar gekostet – weswegen sie die Künstlerin für 42 Dollar verkaufe. Und: „Bitte nicht für mehr als 42 Dollar weiterverkaufen. Ich hoffe, dass es dir Freude bereitet, und wenn du dich davon trennst, wirst du es einfach jemand anderem geben. Danke. Amy Sillman.“

Solche Gesten sind im Kunstbetrieb nicht unbekannt. Doch der Verzicht auf Profitmaximierung oder gar kalkulierte Verluste, wie sie durch das Verschenken von Werken oder die Abgabe unter dem Herstellungspreis entstehen, dienen oft schlicht der Kundenakquise oder der Steigerung des eigenen Bekanntheitsgrades und werden daher meist von weitgehend unbekannten Künstlerinnen und Künstlern gewählt. Die 1956 in Detroit geborene amerikanische Malerin Amy Sillman ist jedoch in Fachkreisen schon lange eine feste Größe und kann über ausbleibenden wirtschaftlichen Erfolg nicht klagen: Ihre Arbeit ist derart nachgefragt, dass ein Werk wie das 2009 entstandene „Platypus“ in einer Auktion bei Christie’s eine sechsstellige Summe erzielte.

Stattdessen klagt sie auf Nachfrage beim Gespräch im Hinterzimmer in ihrer Berliner Galerie über die persönlichen Folgen ihres wirtschaftlichen Erfolgs, die sie subjektiv als „schrecklich – und verwirrend“ beschreibt. Denn: „Ich habe die Malerei nicht als eine verkäufliche Kunstform gewählt. Tatsächlich war das zu der Zeit, als ich anfing, der Weg zum Scheitern und nicht der Weg zum Erfolg.“ Die Rede ist von der New Yorker Szene der siebziger Jahre, in der damals andere Themen angesagt waren: Post-Minimalismus, Fotografie, Klang, Tanz und Performance.

Außerhalb dieser Kreise war die wichtige Inspiration für die mit einem großen Interesse an der Zeichnung arbeitenden Malerin damals der bis heute als „artists artist“ geltende Philip Guston, der sich nach anfänglich großen Erfolgen als abstrakter Maler seine Ideen aus der trivialen Welt der Comics holte: „Als ich Kunststudentin war, war Philip Guston der Grund, Malerin zu sein.“

Lacan, Cixous, Kristeva

Eine weitere Quelle stellt für sie die Auseinandersetzung mit Poesie, Philosophie und psychoanalytischer Theorie dar. Neben Sigmund Freud, Jacques Lacan, Helene Cixous hat sie insbesondere Julia Kristeva gründlich durchgearbeitet, deren Begriff des „Abjekten“ sie beschäftigt: „Ich suche Arbeiten, die andere ästhetische Qualitäten jenseits der Schönheit besitzen. In der Malerei ist das Vokabular ziemlich beschränkt, wenn es um Dinge geht, für die man sich interessieren soll. Manchmal fragen mich Leute, was ich von Schönheit halte. Was ich von visuellen Freuden halte. Welchen Nutzen solches Vergnügen heute haben könnte. Das ist so gar nicht mein Ding. Ich habe kein Interesse daran, Dinge schöner zu machen, stattdessen will ich sie überraschender machen – oder seltsamer.“

Eines der zentralen Konzepte in Sillmans Werk ist daher das der „awkwardness“, was sich als „Peinlichkeit“ übersetzen lässt. Oder als: Unbequemlichkeit, Unannehmlichkeit, Unbehaglichkeit, Hilflosigkeit oder Unbeholfenheit. Etwas von all dem findet sich in ihrer aktuellen Ausstellung „Ein Paar“, die keine leichte Kost ist und auf interesseloses Wohlgefallen gerne verzichtet. Eher stellt sie eine mit kryptischer Hand verfasste Einladung dar, sich im Kaninchenbau von Sillmans Werk zu verlieren und auf verschlungenen Um- und Abwegen die Ortskenntnis zu erhöhen.

So scheinen einerseits die ungerahmt und unspektakulär mit Stahlnägeln in einer um eine Ecke laufenden Reihe gehängten Arbeiten auf Papier als formale Experimente ihr Recht auf Aussageverweigerung wahrzunehmen, während andererseits ein großformatiges Acrylgemälde wie „Song Cave“, das in grellen Farben und groben Linien eine sich in Scham und Verachtung zornig von der Welt abwendende Figur zeigt, anklagenden Charakter hat. Es gibt Werke wie die großformatige „Rapunzel“ oder das kleinformatige „Mit 2“, die dazu anregen, genauer hinzusehen und am Bildrand oder in tiefer gelegenen Schichten Entdeckungen zu machen.

Andere Werke wie die übermalten Siebdrucke „SK2“ und „Sk3“ sind nah am Thema „Paar“ und werden als solches gehängt. Der die Ausstellung dominierende Leinwand-Solitär „The Innie“ verbleibt stumm im Modus einer gekonnten postheroischen Abstraktion, während das hochformatige Diptychon „Pat“ in einer eigenwilligen Mischung von Grün, Schwarz und Violett von dem Elend berichtet, ein Körper in dieser Welt zu sein.

Amy Sillmann Foto: Tony Rinaldi

Wie viel Freude allerdings die künstlerische Bearbeitung auch schwerer Themen dann doch bringen kann, zeigt das im Keller der Galerie laufende Video „After Metamorphoses“ (Musik: Wiebke Tiarks), die Ovid als psychedelische Animation in fünf Minuten durchlaufen lässt. Ähnlich wie in ihrem komplexen Werk, in dem Widersprüchliches nebeneinander bestehen kann und sich langsam zu einem Gesamtbild fügt, das von undogmatischer Subversion aller Gewissheiten erzählt, wirken auch die konträren Koordinaten ihrer Existenz zwischen dem subkulturellen Milieu des East Village mit seinen Punk-Konzerten und Fanzines und ihrem heutigen Erfolg auf dem globalen Kunstmarkt erst einmal unvereinbar. Die Widersprüche lösen sich jedoch prozesshaft an einem dritten Ort, wie sich zeigt, wenn Sillman mit Emphase von ihrem Dialog mit der Jugend erzählt, den sie als Professorin an der Frankfurter Städelschule betreibt.

Keine Optimierung

Einmal, berichtet sie, habe ein Student sie für das intensive Sprechen über die Kunstproduktion als typisch amerikanisch-kapitalistisch kritisiert. Glücklicherweise sei es ihr gelungen zu vermitteln, dass es ihr um das Gegenteil der Optimierung von Verkaufsgesprächen gehe – die intellektuelle Befähigung zur Dekonstruktion und die damit verbundene Thematisierung der Produktionsbedingungen.

Ihrem rebellischen Do-it-Yourself-Geist bleibt sie selbst übrigens bis auf Weiteres treu: So sind auch in der aktuellen Ausstellung drei verschiedene von der Künstlerin gestaltete Kleinpublikationen für jeweils einen Euro Spende zu erwerben – die in eine Kasse des Vertrauens zu entrichten sind. Und selbst in diesem Tiefstpreissegment ist anscheinend noch Raum nach unten, wenn man den Titel einer dem unteren Ende der Konsumkultur gewidmeten Ausstellung im MOCA Detroit bedenkt, an der die Künstlerin unlängst teilgenommen hat: „99 cents or less.“

Amy Sillman: „Ein Paar“. Bis 15. November. Galerie Capitain Petzel. Karl-Marx-Allee 45, Berlin-Mitte. Geöffnet Di.–Sa. 11–18 Uhr

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