: 70 Cent fürs Sonntagsbier
Trinken Spätibesitzer wollen auch an Sonn- und Feiertagen öffnen dürfen. Es geht um Existenzen und Kultur, so der Berliner Späti e. V. in einer Diskussion mit Politikern
von Max Nölke
Auf der Bierbankgarnitur vor dem Spätkauf in der Karl-Marx-Straße sitzen acht Leute. Alte Männer mit blutunterlaufenen Augen, aufgebrezelte Mädchen und einige Jungs, die sich über Fußball unterhalten. „Wir brauchen nicht viel. Nur ’n Wodka, O-Saft und Pappbecher“, lallt Hannes. 20 Jahre. Stockbesoffen. Um acht am Abend.
Die Tante Emma in Neukölln heißt Nimet. Der 28-Jährigen gehört der Späti. Sie hat ein Kind, ein zweites kommt bald. Seit fünf Jahren besitzt sie das Geschäft, nebenbei studiert sie. Dass sie laut Berliner Ladenöffnungsgesetz sonntags eigentlich nicht öffnen darf, ist am umsatzstärksten Tag der Woche ein herber Verlust. Deshalb öffnen viele Spätibetreiber trotzdem, auch Nimet. Oft gucken die Ordnungshüter drüber hinweg. Werde sie allerdings überkorrekterweise erwischt, koste das bis zu 2.500 Euro, meint sie.
Warum etwa Tankstellen und Bahnhofsläden aufhaben dürfen, erschließt sich den Spätibesitzern nicht wirklich. Warum sich in den letzten Jahren die Kontrollen vermehrt haben – gerade in Neukölln –, noch weniger. Knapp 70.000 Euro an Bußgeldern seien letztes Jahr verhängt worden, so Alper Baba aus dem Vorstand des Berliner Späti e. V. Vor knapp zwei Jahren gründete sich der Verein, weil die Spätibesitzer einen Existenz- wie Kulturverlust fürchten und die Sonn- und Feiertagsöffnung erreichen wollen. Am Donnerstag veranstaltete der Verein eine Podiumsdiskussion mit Politikern von SPD, CDU, FDP, Linken und Grünen.
Die Politik und die Spätis
Zunächst einmal fordert der Verein vom Senat eine klare Definition auf Rechtsebene, was genau ein Spätkauf ist. Man erhofft sich davon eine Gleichstellung zu Tankstellen und Bahnhofsläden, denen es erlaubt ist, 24 Stunden, 7 Tage die Woche geöffnet zu haben. Dem Bundesverfassungsgesetz zufolge scheitert es aber daran, dass die Spätis ein alleiniges Umsatz- und Erwerbsinteresse verfolgen, die Tankstellen genießen dabei eine andere Zweckmäßigkeit. Das erschließt sich auch den meisten noch. Aber Bahnhofsläden? Ob es wirklich unverzichtbar ist, nach langen Zugfahrten noch ein ranziges Käse-Schinken-Croissant erstehen zu können, sei zumindest mal diskussionswürdig.
Falko Liecke von der CDU gibt sich phrasendreschend kämpferisch-nichtssagend: „Wo ein politischer Wille ist, ist ein juristischer Weg.“ Er ist der Bezirksstadtrat für Neukölln. Auf die Frage eines Spätibesitzers, was er denn konkret tun werde, wenn er diesen Raum verlasse, kann er aber keine Antwort geben. Die Grüne Susanne Kahlefeld „kämpft den Kampf Klein gegen Groß“. Klein die Spätis, Groß die Supermärkte. „Vielleicht schafft man es, eine Ausnahmeregelung zu erzielen.“ Ja, vielleicht. Dafür brauche man aber Unterstützung. „Die Grüne schiebt die Schuld auf die SPD und auf die CDU, und Lösungen kennt keiner“, sagt ein anderer Spätibetreiber.
Das Best-of der Diskussion um die heiße Kartoffel stellt sich zusammen aus: „Kann ich nichts zu sagen“, „Wir versuchen das noch mal“, „Da bin ich der falsche Ansprechpartner“, „Wir sind uns einig, dass sich was ändern muss“, „Da müssen Sie den Herrn neben mir fragen“.
Große Aussichten sind das nicht. Das weiß auch Nimet: „Die SPD und die Linke lassen uns im Stich, die Grüne bemüht sich, kann aber nicht ohne SPD. Und die CDU und FDP wollen, aber dürfen halt nicht.“ Vor zwei Jahren, als man sich erstmals mit Susanne Kahlefeld zusammengesetzt hat, habe sie gesagt, sie könne nichts machen, weil sie nicht in der Regierung sei. „Heute ist sie es. Sie könnte was machen, passiert aber nicht.“
Touritrödel im Späti?
Dabei gab es letztes Jahr schon mal einen Schritt nach vorne. Auf Druck der Grünen nahm sich Wirtschaftssenatorin Ramona Pop Zeit für den Berliner Späti e. V. Beschlossen wurde, dass Spätis unter bestimmten Vorschriften sonntags von 13 bis 20 Uhr öffnen dürfen. Bei einem gekürzten Sortiment wurde eine Anordnung vorgelegt, die vorschreibt, eine gewisse Anzahl an Touristenartikeln anbieten zu müssen. Ein Versuch, eine Nische im Gesetz zu finden. Denn: Souvenirshops haben eine Genehmigung, sonntags zu öffnen. Den Spätibetreibern entlockte das nur ein müdes Kopfschütteln: Berliner Bären? Postkarten vom Görlitzer Park? Neukölln-Schlüsselanhänger?
Hannes blickt da sowieso nicht durch die ganzen Vorschriften und Rechtslagen. Der 20-Jährige sitzt schon halb schielend auf der Biergarnitur vor Nimets Späti. Seit ein paar Stunden „hängt“ er hier mit seinem Kumpel, beide haben Semesterferien. Weitaus billiger als in jeder Kneipe komme er hier weg. Den Gerstensaft gibt’s zum Spottpreis von 70 Cent. Er meint, die besten Abende würden hier starten. „Außerdem kann man hier so herrlich versacken.“ Welch schönes Wort zum Sonntag.
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