: Derby mit umgekehrten Vorzeichen
Fußball Vor dem morgigen Zweitliga-Nordderby triumphiert Holstein Kiel und schwächelt der FC. St. Pauli. Die Kieler, die überraschend an der Tabellenspitze stehen, gelten nun als Favorit
Es war eine Demontage erster Güte. Schon in der ersten Halbzeit hatte der Gast aus Ingolstadt die Hamburger zerlegt und war mit 4:0 in Führung gegangen. Das Halbzeitergebnis war auch gleichzeitig der Endstand – noch nie in seiner Geschichte hat der FC St. Pauli am Millerntor ein Zweitligaspiel deutlicher verloren. „Die Niederlage war auch in dieser Höhe verdient“, erkannte St.-Pauli-Trainer Olaf Janßen. Individuelle Fehler und ein nicht existenter Spielaufbau auf Seiten der Hamburger hatten zu dem Desaster geführt, dass – erstmals seit Jahren – Halbzeitpfiffe am Millerntor auslöste.
Die herbe Klatsche beendet zunächst einmal alle heimlichen Aufstiegsträume der über 29.000 am Samstag erschienenen Fans. Zu deutlich waren den Kiezkickern ihre Grenzen aufgezeigt worden – von einem Bundesliga-Absteiger, der im bisherigen Saisonverlauf noch überhaupt nicht in Tritt gekommen war und bis zu seiner Hamburger Visite am Tabellenende herumdümpelte.
Eine Woche zuvor hatte das Ergebnis allein – ein mehr als glücklicher 1:0 Auswärtssieg in Nürnberg – die spielerischen Schwächen der Hamburger noch verkleistern können. Und da das Team von Horst Janßen auch die Woche zuvor mit 1:0 gewonnen hatte – ebenfalls äußerst glücklich und in letzter Minute – stimmte der Tabellenstand. Dabei war die absteigende Tendenz deutlich erkennbar: Die bislang beste Saisonhalbzeit waren die allerersten 45 Minuten gegen den VFL Bochum Ende Juli der noch jungen Spielzeit gewesen.
Seitdem hat sich das Team spielerisch eher zurückentwickelt, was auch an den zahlreichen Ausfällen liegen mag. Am Samstag fehlten mit Christopher Buchtmann, Lasse Sobiech, Mats Möller-Daehli gleich drei ganz zentrale Akteure verletzungsbedingt in der Startelf.
Ein weiterer Grund für die Flaute liegt vor allem in der Offensivabteilung. Der hochgelobte Doppelsturm Aziz Bouhaddouz und Sami Allagui, entpuppte sich bislang nicht einmal als laue Brise – keiner der beiden Zweitliga-Topstürmer traf bislang ein einziges Mal in der Liga.
Diese Probleme hat Holstein Kiel derzeit nicht. Torgarant der Kieler ist ausgerechnet ein Akteur, der bei den St. Paulianern noch unter Vertrag steht, wegen mangelnder Torgefährlichkeit und Einsatzbereitschaft aber vergangenen Winter an Kiel ausgeliehen wurde: Marvin Duksch. Erst schoss Duksch Kiel nach seinem Wechsel in die Zweite Liga, nun führt er dort die Torschützenliste an.
Und nicht nur Duksch steht ganz oben. Nachdem die Kieler am Freitag Aue mit 3:0 aus deren Stadion fegten – zweimal traf Duksch – sind die Kieler Störche erstmals Tabellenführer der Zweiten Liga. Vor der Saison noch galt der Aufsteiger aus Liga drei den meisten Experten noch als Abstiegskandidat Nummer 1 – nun setzt er zum Sprung in die Bundesliga an. Am Dienstag ist Kiel im eigenen Stadion deshalb überraschend Favorit gegen den großen Nachbarn, der sich gewaltig steigern muss, um im Holstein-Stadion nicht unter die Räder zu kommen. Marco Carini
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