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Zwischengeschlechtlich

BERLIN ART WEEK Die Wesen der Künstlerin Jonny Star sind fragil und eigenwillig, voller Schönheit – und essenzieller Verstörung

von Ralf Hanselle

Das Leben gleicht einer großen Erhebung. Kaum mehr als ein Klumpen Lehm und Speichel, stemmt sich der Mensch gegen Widerstände. Hingeworfen zwischen Äther und Erde lehnt er sich gegen sein Schicksal auf. Die Berliner Künstlerin Jonny Star hat diesem existenziellen Ringen Formen gegeben: Da drückt sich etwa eine anthropomorphe Bronze von einem kalten Marmor-Urgrund ab, und ein gesichtsloser Zwitter aus Erdling und Engel stemmt sich rücklings gegen einen schweigenden Himmel.

Es sind mystische Menschlein, Homunculi, die sich besonders im Ende der 1990er Jahre entstandenen Frühwerk der Künstlerin herumtummeln. Jonny Star hat ihnen geheimnisvolle Namen mit an die Seite gestellt: Niehmus ist eine kleine Bronzefigur aus dem Jahr 1999; andere heißen Pries, Lumris oder Naah. Diese dunkel gebeizten Figürchen wirken wie Hausgötter in einer Heilsgeschichte oder zumindest Schutzheilige in einem privaten Drama. Unweigerlich fühlt sich der Betrachter vor ihrem gesichtslosen Antlitz an den alten Titanen-Starrsinn von Goethes Prometheus erinnert; an jenes widerborstige J’accuse“, das dort der lyrische Held seinem Gottvater entgegentrotzt: „Hier sitze ich, forme Menschen nach meinem Bilde.“

Überschreitung

Denn nichts anderes ist es, was die 1964 in Düsseldorf geborene Jonny Star seit über zwanzig Jahren tut: Bilder machen; Menschen formen – anfangs aus Ton und Keramik, später aus einer Legierung aus Kupfer und Zink. Es ist ein Geschlecht, das ihr gleich ist: reich an Fragilität und Eigenwillen, voll zerbrechlicher Schönheit und essenzieller Verstörung. „Bei meinen Bronzen“, sagt die Künstlerin, „gehe ich sehr intuitiv vor. Während ich sie forme, bin ich in gewisser Weise ‚unter der Erde‘ – an einem Ort, an dem sich niemand auskennt.“

Für eine Einzelausstellung im Kreuzberger Atelierhof hat Jonny Star sie nun ans Licht geholt. Sie hat die alten Formen nach Jahren noch einmal abgegossen, die kleinen Skulpturenpüppchen auf hohe Sockel gestellt und sie anschließend zwischen neue Malereien, Fotografien und aktuellere Bronzearbeiten drapiert. „The Cycle Room“ nennt Star diese vielschichtige kleine Soloschau. Eine Ausstellung, die die Künstlerin nicht als Retrospektive verstanden wissen will, in der sie dennoch einen großen Zyklus zur Disposition stellt.

In Stars „Cycle Room“ kann man sich schwerelos um sämtliche Phasen der Existenz drehen: Geburt und Sterben, Werden, Vergehen und Wiedergeburt. Manches bricht mitten in der Bewegung ab; anderes führt zu Überschreitung und Transformation. Besonders die acht neuesten Bronzen, in deren Titeln auffällig häufig das Wort „Ich“ vorkommt, scheinen direkt im Urgrund der komplexen Künstlerinnenseele entstanden zu sein.

„Me born“ heißt da etwa eine kleine Skulptur, die formal stark an den hutförmigen Fruchtbecher einer frisch gefallenen Eichel erinnert. „Me starring at My Breasts“ ist der Titel einer anderen Skulptur. Hier hat sich das Eichelhütchen aus Bronze Nummer eins bereits unmerklich in kleine Brustwarzen verwandelt. Und schließlich „Me Dead“ und „Me as a Hare“. Ersteres ein hingestreckter Körperklumpen, Letzteres ein Zwitter aus Osterhase und Flügelpüppchen. Bilder von Tod und Auferstehung werden wachgerufen; ebenso aber auch von jenem leblosen Rammler, dem Joseph Beuys vor gut einem halben Jahrhundert die Bilder erklärt hat.

Jonny Stars Bronzen muss man nichts mehr erklären. Sie tragen den Fundus der Kunst bereits im Körper. Von den wuchtigen Venusfigurinen der Altsteinzeit bis zu modernem Kitsch und Camp-Zitaten reichen im „Circle Room“ die Assoziationen. Und immer wieder Paul Klees „Engel“ – jene aquarellierten Flattermänner, die, wie auch Stars Bronzen, auf den Übergängen und Grenzen wohnen. Die halb und halb sind. Zwischengeschlechtlich. Transhuman. Zuweilen verkümmert, zuweilen gar tragisch-lächerlich.

Eine mit Tütü bereifte Hängeskulptur, zwischen Kruzifix und Peepshow

Passionspositionen

Festgekeilt zwischen Himmel und Erde, zwischen Mann und Frau, zwischen E und U. Noch suchend, fast findend. Immer wieder tauchen diese schier unhaltbare Position in der beeindruckenden kleinen Soloschau auf. Doch es sind gerade diese versammelten Unmenschlichkeiten, die Stars Figuren so liebevoll menscheln lassen. Das Ringen, das Leiden, das Aufbegehren. Passionspositionen, die immer wieder neu überwunden werden wollen. Und so heißt die sicherlich schönste Arbeit auf dieser kreativen Lebensumlaufbahn denn auch „Me Between Earth and Heaven“: eine mit Tütü-Röckchen bereifte Hängeskulptur, irgendwo zwischen Kruzifix, Peepshow und brennender Fackel.

Mit ihren Arbeiten sowie mit ihren vielen kuratierten Gruppen- und Soloshows hat Jonny Star in den zurückliegenden Jahren immer wieder energiegeladene Assoziationsräume eröffnen können – Reflexionszonen, in denen man über weit mehr als über ästhetische Fragen ins Grübeln geraten ist. „Ich sehe das Kuratieren als Teil meiner künstlerischen Arbeit. Ich möchte in meinen Ausstellungen Felder erzeugen.“ Felder aus verschiedenen Medien und mit unterschiedlichsten existenziellen Schweregraden.

So sind im „Cycle Room“ etwa erstmals auch Acrylarbeiten auf Leinwand zu sehen – merkwürdige florale und maritime Malereien, die der sonstigen Schwere den Boden wegziehen. Kunst zwischen Blumen und Blubbern, zwischen Banalität und tiefer Bedeutsamkeit. Doch bei aller Verschiedenheit: Im Kosmos von Jonny Star rotiert letztlich alles um die gleiche Achse. Ihr Fixpunkt ist nicht weniger als die Frage nach der „Conditio humana“.

Bis 30. September, Atelierhof Kreuzberg, Schleiermacherstraße 31–37

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