Wenn die Dinge mal ins Rollen geraten

Lidokino 5 Draußen wird es kühler, drinnen steigt langsam der Kesseldruck: Neue Spielfilme von George Clooney und Samuel Maoz in Venedig

Draußen ist es kühler geworden. Nach ein paar heiß-schwülen Sonnentagen kamen die Regenschauer und Gewitter, ein frischerer Wind, der über die Lagune und den Lido weht. Nicht unangenehm. Die Mücken im Zimmer halten sich dennoch hartnäckig. Grund genug, viel ins Kino zu gehen. In dem einen die Wirklichkeit oft genug daran erinnert, dass ein Film zwar nur aus bewegten Bildern besteht, seine Geschichten jedoch meistens reale Vorbilder haben, seien sie noch so zusammengesponnen.

George Clooney etwa hat sich für seinen Wettbewerbsfilm „Suburbicon“ die USA der Fünfziger vorgenommen, mit einer Muster-Vorstadtsiedlung, in der man Wert legt auf Diversität – die Menschen kommen aus so verschiedenen Regionen wie New York und Ohio –, vor allem aber auf Sauberkeit.In diese Idylle platzen gleich zwei Fremdkörper. Erstens eine schwarze Familie und zweitens ein Überfall mit Mord. Die beiden Geschichten haben eigentlich nicht viel miteinander zu tun, Clooney nutzt die eine mehr oder minder direkt als Kommentar zum erstarkenden Rassismus in den USA – seit Trump –, in deren Schatten andere sich dann als sein eigentliches Kernanliegen entfaltet: Er stellt die scheinbar vorbildliche Lebensführung der Bewohner von Suburbicon als bodenlose Doppelmoral bloß.

Solider Biedermann

Matt Damon gibt den nach außen soliden Biedermann Gardner Lodge, der zunächst als Opfer eines Verbrechens erscheint, später hingegen seine eigene finstere Seite entlarvt. Das Drehbuch dazu hat Clooney mit den Coen-Brüdern geschrieben, die an ihrem schwarzen Humor festhalten, diesen hier allerdings höchst vordergründig in den Dienst der bösen Sache stellen. Irgendwas stimmt nicht mit dem Film. Womöglich erfreut er sich, bewusst oder unbewusst, stärker an seinem eigenen Zynismus, als ihm guttut. Matt Damon und Julianne Moore als Alptraumpaar können gleichwohl überzeugen.

Noch mehr überzeugt der israelische Regisseur Samuel Maoz, der in „Foxtrot“ ebenfalls schwarzhumorige Mittel einsetzt, um die Situation seines Landes in verdichteten Bildern als Dilemma zu präsentieren. Auch der titelgebende Tanz wird zum Gleichnis: Beim Fox­trott landet man am Ende immer wieder an der Anfangsposition. In Maoz’Film bekommt eine Familie Besuch vom Militär, man vermeldet den Tod des Sohns, der gerade seinen Militärdienst absolvierte. Zusammenbruch der Mutter, des Vaters.

Ein paar Stunden später die gute Nachricht: Es war ein Versehen. Damit ist die Geschichte keinesfalls zu Ende. Der Film springt zum Sohn, der mit seiner Einheit einen Grenzposten bewacht. Dort öffnet man den Schlagbaum mehr für Kamele als für Autos. Die Soldaten hausen auf schlammigem Grund in einem Container, dessen zunehmende Neigung sie mit einer herabrollenden Konservendose bestimmen – von Tag zu Tag wird die Dose schneller.

In diesen Alltag aus Paranoia und Absurdität bricht irgendwann die Realität des Grenzkonflikts. Maoz, der 2009 in Venedig den Goldenen Löwen für sein Debüt „Lebanon“ erhielt, hat den bisher ambitioniertesten Beitrag des Wettbewerbs vorgelegt, und den auf finstere Weise poetischsten. Wobei man bei seinem Schwanken zwischen Ironie und Tragik manchmal nicht weiß, wo der Film steht. Vielleicht muss er das selbst nicht so genau wissen. Tim Caspar Boehme