: Kein Museum, ein Warenlager
Das neu gegründete Magazzino Italian Art in Upstate New York zeigt mit „Margherita Stein: Rebel With a Cause“ eine wichtige frühe Galeristin der Arte Povera
Von Jana Janika Bach
Bei einer Party kommt das Gespräch auf ein Erfolgspaar und eine neue Attraktion der New Yorker Kunstwelt: auf Nancy Olnick und Giorgio Spanu und ihr Maggazino Italian Art.
Von der Grand Central Station geht es mit der Nordlinie in Richtung Poughkeepsie, vornehmlich am Hudson River entlang. Zuletzt bringt ein hauseigener Shuttle-Service die Besucher des Magazzino auf die Anhöhe Cold Springs, einen kleinen Ort von nicht ganz 2.000 Seelen. Im nahegelegenen Garrison bewohnt das Unternehmerpaar ein Anwesen mit Blick über das Hudson Valley. Einige Arbeiten aus ihrer Sammlung von insgesamt 400 Kunstwerken wurden von dort ins Magazzino verfrachtet.
Seit mehr als dreißig Jahren sammeln Olnick und Spanu gemeinsam Arte Povera. Ihre Murano-Glas-Sammlung wird international gezeigt. Bevor sich das Ehepaar 1989 in Spanus Heimat Sardinien begegnete, hatte sich Olnick, die aus Manhattan stammt, vornehmlich auf Pop-Art fokussiert. Spanu hingegen sammelte europäische Vertreter der Moderne, wie Picasso, Matisse oder Jean Dubuffet.
Mit „Margherita Stein: Rebel With a Cause“, der ersten Ausstellung, zollt das Magazzino nun der Vorreiterin der Arte Povera Tribut und präsentiert um die 70 Werke, darunter Historisches von Jannis Kounellis, Mario Merz oder Pino Pascali.
1966 eröffnete Stein in Turin, zunächst in ihrem Apartment, die Galerie „Christian Stein“. Sie wählte den Namen ihres Mannes, um die damaligen Vorurteile der Kunstwelt gegen Frauen im Kunstbetrieb zu umgehen. Stein glaubte an eine Philosophie der „armen Mittel“ wie Filz, Glas oder Erde, mit denen Künstler damals experimentierten. Sie hing der Vision an, die Kunst aus elitären Sphären auf den Boden des Materials zurückzuholen – und das lange bevor diese Idee im Markt angekommen war.
Nach ihrem Tod kauften Olnick und Spanu einer Großteil von Margherita Steins Sammlung. Der historische Dialog, Steins Legacy, solle fortgesetzt werden, sagt der Direktor Vittorio Calabrese. Trotzdem leite er kein Arte-Povera-Museum und das Maggazino sei weder ein Museum noch eine Foundation, so Calabrese: „Wir sind ein Warehouse.“ Mit der Mission, Kunst aus Italien zu fördern, auch internationale Künstler mit starker Bindung an die italienische Kultur.
Gepflasterte Wege entlang Gräsern und Lavendel, noch in zartem Wuchs, führen zum Kunstwarenlager. Dazwischen wehen Fähnchen aus Polyester, bedruckt mit Bilder von Yves Klein oder Delacroix, eine Installation Giulio Paolinis: „The Sky and Surroundings“. Einem riesigen Fingernagel gegenüber – eine Skulptur Giuseppe Penones – schmiegt sich das Entree, ein Kasten aus Glas, an zwei Betonschläuche.
Schon aus der Distanz zeigt die Flagge im Eingangsbereich, knapp 1,5 mal 2,5 Meter groß, Farbe. Michelangelo Pistolettos „Stracci Italiani“ ist eine Neuinterpretation der ersten Trikolore des Landes und ein Statement zur Widersprüchlichkeit von Einheit und persönlicher Freiheit: Anlässlich der 150-Jahr-Feier Italiens wurde sie aus Stofflappen gefertigt und am selben Turm gehisst, wie das 1860 Giuseppe Garibaldi tat, der heute verhasste wie verehrte Nationalheld.
Im Karree wird die Ausstellung durchwandert, immer im Blick: milchiges Deckenglas, ein Stück vom Himmel, Wald und von Weite. Der spanische Architekt Miguel Quismondo verdoppelte die ursprüngliche Quadratmeterzahl. Zuletzt waren in den Gebäuden ein Molkereibetrieb und eine Computerfirma ansässig. Eine Bibliothek ist im Aufbau.
Jeder Raum ist gesetzt, eine Komposition. Das Lichtrechteck fällt unter den weißen Carrara-Marmor, der wie ein Ufo schwebt, aber von Stahlseilen gehalten wird. „Efeso II“ wurde von Luciano Fabro für das Wiener Secessionsgebäude 1986 konzipiert.
Giulio Paolinis „Saffo“ wiederum, eine Kopie der „Liegenden Sappho“ Danneckers, wurde auf ihrem Kanapee so platziert, dass sie „Mimesi“ beobachtet. Zwei Gipskopien eines Klassikers, für die Praxiteles’„Hermes“ aus der griechischen Antike vom Knie an Vorbild stand. Die BesucherInnen können indes zwischen den Gipsköpfen hindurchschauen.
Zur einen Seite ins Grüne, zur anderen in ein Sternensystem mit rotierenden Körpern. Am Nordpol gemachte Aufnahmen inspirierten Marco Bagnolis „Le stelle ruotate al Polo“, die den Sternenverlauf eines Tages dokumentieren und ein zufällig geworfenes Lichtmuster. Die Arbeit treffe sein Schaffen im Kern, so Bagnoli, da im Moment geboren, „ewig befreit von Zeit, Sentiment und Emotion“. Dies und die Raumbezogenheit ihrer Werke eint die Arte-Povera-Künstler: Egal ob bei Pistolettos „Adamo ed Eva“, auf einen Spiegel gedruckt, bei dem der Betrachter zum angezogenen Voyeur im Bild wird, oder bei Giovanni Anselmos „PARTICOLARE“, einem Gleitschriftzug, der nur aus einem bestimmten Winkel lesbar ist.
Cold Spring, NY 10516, 2700 Route 9, www.magazzino.art
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