: „Wir sehen uns als Bürgerlobby“
OPENPETITION Den Edersee retten, Abschiebungen verhindern, Wölfe bekämpfen, Kita statt Flüchtlingsheim bauen, Cannabis legalisieren – auf der Petitionsplattform wird für unterschiedliche Themen geworben. Konrad Traupe erklärt, warum das gut so ist
Interview Elisabeth Kimmerle und Jan Feddersen
taz: Konrad Traupe, merken Sie bei openPetition, dass gerade Wahlkampf ist?
Konrad Traupe: Ich finde es sehr interessant, wie wenig Wahlkampf gerade stattfindet. Die Themen, die die Menschen im Wahlkampf vermissen, werden bei uns als Petitionen gestartet. Wir spüren deutlich, dass Menschen versuchen, Aufmerksamkeit für Themen zu generieren, die keine große Öffentlichkeit haben.
Zeichnet sich ein Trend ab? Was beschäftigt die Menschen auf Ihrer Plattform gerade am meisten?
Im Moment laufen bei uns viele Petitionen zu Bildung und Gesundheit, also zu zwei Themen, die im TV-Duell nicht angesprochen worden sind. Es gibt zum Beispiel eine Petition, die sich dafür einsetzt, dass der Beruf der Hebamme gestärkt wird. Das dritte Thema, mit dem wir Dossiers füllen könnten, ist Asyl und Migration: Schülerinnen und Schüler engagieren sich dafür, dass ihre Mitschüler nicht abgeschoben werden. Davon abgesehen habe ich das Gefühl, die Menschen kommen mit Problemen zu uns, die es in ländlichen und unterversorgten Gegenden gibt. Die Probleme in urbanen Ballungsräumen werden eher von Abgeordneten aufgegriffen.
Sind Petitionsplattformen also Seismografen dafür, was die Gesellschaft bewegt?
Öffentliche Sammelpetitionen sind jedenfalls in der Lage, zu zeigen, dass ein Thema von Relevanz ist. Bei einer Podiumsveranstaltung zu unserer Kampagne Petitionsrecht 4.0 ist neulich die Stimmung hochgekocht, als es um die Frage ging, wie man ein Thema so weit bekommt, dass es von einem Abgeordneten angehört wird. Das hat viele Leute erzürnt, weil sie schon mal durch die Maschen des Netzes gefallen sind und dadurch Nachteile hatten. Die sind sehr emotional geworden und haben auch uns als Petitionsplattform Vorwürfe entgegengebracht, die typischerweise auf Parteiveranstaltungen kommen. Da wurde gesagt: „Mir hört sowieso keiner zu“, oder: „Selbst wenn ich eine Petition starte, kann ich das Thema trotzdem nicht auf die Agenda bringen.“ Genau da setzen wir an.
Wie?
Wir versuchen, auf Partikular- oder Allgemeininteressen hinzuweisen, die durch die Quantität der Unterschriften eine Legitimation bekommen. Diese Legitimation durch Stimmen soll zeigen, dass es eine Erschütterung zu einem bestimmten Thema in der Gesellschaft gibt. Wenn diese als Petition eingereicht wird, kann das den parlamentarischen Prozess in einer repräsentativen Demokratie stärken.
Das Erstarken der AfD wird auch dem Mangel an Vertrauen in die Politik zugeschrieben, weil Bürger den Abstand zu den Politikern als zu groß empfinden. Schließen Onlinepetitionen diese Lücke durch das Gefühl, an der Politik teilhaben zu können?
Wir sehen uns in letzter Zeit immer stärker als eine Art Bürgerlobby. Wir können Themen für Parteien und Politik mit den Menschen zusammen aufbereiten. Wir sind ein bisschen wie eine Beratungs- und Anlaufstelle. Wenn unsere Forderungen nach einem erweiterten Petitionsrecht beherzigt würden, könnten wir einen positiven Effekt für die repräsentative Demokratie haben. Petitionen sind ein starkes Beteiligungsinstrument, aber sie könnten noch viel stärker sein, wenn es in bestimmten Bereichen, etwa im parlamentarischen Prozess, klarere Regeln gäbe. Dann könnte auch aus der Zivilgesellschaft stärker mit Petitionen gearbeitet werden.
Wie positioniert sich openPetition politisch?
Wir haben einen Anspruch auf ein möglichst hohes Maß an Neutralität. Wir hatten auch Fälle, an denen die linkere Sphäre anecken würde. Das gehört aber zu politischen Entscheidungsfindungsprozessen dazu.
Wie gehen Sie mit Petitionen um, die zum Beispiel als diskriminierend empfunden werden können?
Dafür haben wir unsere Nutzungsbedingungen. Da steht ganz klar drin, dass niemand diskriminiert werden darf und dass wir uns vorbehalten, auch im Nachhinein noch Quellen einzufordern für zweifelhafte Tatsachenbehauptungen. Das recherchiert unsere Redaktion. Parteien, die diskriminierend in der Öffentlichkeit aufgetreten sind, halten meist die Nutzungsbedingungen nicht ein, und diese Petition wird bei uns gesperrt oder mit einem Qualitätsbanner versehen. Ansonsten haben wir die Erfahrung gemacht, dass Petitionen, die versuchen, gegen bestimmte Menschengruppen vorzugehen, eine Zeit lang unterschrieben werden, aber dann lässt das auch ganz schnell nach.
Warum?
Da gibt es eine gewisse Gruppe, die in einer konzertierten Aktion unterschreibt, und ab einem gewissen Punkt, so bei 5.000 Unterschriften, passiert dann nichts mehr. Meistens versandet so ein Thema, weil die Forderungen absurd sind.
Jahrgang 1985, arbeitet als Redakteur und Campaigner bei der gemeinnützigen öffentlichen Petitionsplattform openPetition. Im Team um Gründer Jörg Mitzlaff erlebt und begleitet er jeden Tag Petitionsstarter*innen, Unterstützer*innen und deren Abgeordnete – eine optimale Position, um die Welt der digitalen Beteiligungswerkzeuge von morgen aus erster Hand kennenzulernen.
Aber Sie schaffen trotzdem Öffentlichkeit für solche Forderungen auf der Plattform. Regulieren sich solche Äußerungen denn wirklich selber?
So ein Thema wird höchstens von Populärmedien aufgegriffen, weil es eine schillernde Story darstellt. Der öffentliche Druck, der dabei entsteht, ist nicht vergleichbar mit einem Thema, das die Aufmerksamkeit von größeren Zeitungen auf sich zieht. Öffentliche Sammelpetitionen im Internet funktionieren vor allem dadurch, dass sie ein Echo haben und ihre Reichweite durch Multiplikatoren vergrößert wird. Das ist bei diesen Themen nicht gegeben, vor allem, wenn sie schlecht argumentiert sind und ihnen eine Nachvollziehbarkeit fehlt.
Welche Petitionen werden stattdessen erfolgreich – und warum?
Wir merken immer stärker, dass durch die Onlinepetitionen auf der Straße mobilisiert wird. Insofern ist die Stereotypisierung, Petitionsplattformen seien Clicktivism, so nicht zutreffend. Nicht nur der öffentliche Druck, der online entstanden ist, ist ausschlaggebend, sondern auch, was im Folgeeffekt auf der Straße passiert. Das beschleunigt sich vor allem, wenn auf der Straße Aktionen laufen und dann auch wieder Bilder online transportiert werden. Als Bivsi – das Mädchen, das mit seiner Familie nach Nepal abgeschoben wurde – im Fernsehen über Skype aus Nepal zugeschaltet wurde, hat das bei ganz vielen Leuten bewegt, dass sie unsere Petition für Bivsi unterschrieben haben. Inzwischen durfte sie zum Glück wieder zurück nach Deutschland kommen. Der WDR und auch der Landtag NRW haben uns mündlich bestätigt, dass unsere Petition stark dazu beigetragen hat, dass der öffentliche Druck entstanden ist. Die Petition wurde im Landtag NRW eingereicht und von dort ans Auswärtige Amt weitergegeben. Das ist ein schönes Beispiel dafür, was Gemeinschaft gestalten kann.
Wie geht es weiter?
Ich frage mich, wann einzelne Parteien anfangen, die Themen der Petitionen stärker aufzugreifen und sie zum Wahlkampfthema zu machen.
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