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Archiv-Artikel

Mit 1.000 PS in die Zukunft

Die deutschen Autobauer tun einfach so, als wäre die auch im Krisenjahr 2005 eine Protz- und Leistungsschau – und verraten damit doch mehr über die prekäre Lage, als ihnen lieb sein kann

AUS FRANKFURT CLEMENS NIEDENTHAL

Kein Sushi, keine Pavillons von Zaha Hadid oder Rem Koolhaas. Und nur ein einziger Diskjockey, der aus dem abgetrennten Heck eines orangenen Toyota Aygo gleichsam orangefarbene Musik dröhnen lässt. Still geworden ist es in den Frankfurter Messehallen. Wohl auch, weil früh klar war, dass das dissonante Quietschen der kriselnden Schlüsselindustrie ohnehin zum Leitmotiv der diesjährigen IAA werden sollte. Arbeitsplätze, Benzinpreise, Rußpartikelfilter.

Darüber kann auch die Premiere des neuen S-Klasse-Mercedes nicht hinwegtäuschen, der traditionellen Kanzlerlimousine aus Tagen, als das Land noch einen Kanzler von S-Klasse-Format hatte. Schröder indes lässt sich lieber im Phaeton chauffieren. Auch so ein Volkswagen, der viel von dem Glatteis erzählt, auf das sich deutsche Automobilbauer verirrt haben. Oder ist es doch nur das Spiegelparkett, auf dem nun wieder alle um eine gute Figur bemüht sind? VW mit einem 255-PS-Golf und einem 1.000-PS-Bugatti. Fiat und Škoda mit aufreizend oder nur spärlich bekleideten jungen Frauen.

Wenn es sich beim Auto – wie Bazon Brock einmal gesagt hat – tatsächlich um beseelte Materie handeln sollte, so haben die Aussteller um diese Seele herum entleerte Körper drapiert. Ein Neuwagen kann eben auch eine fürchterlich vulgäre Erscheinung sein. So gar nicht sexy.

Unvorstellbar aus heutiger Perspektive, dass das Fachblatt Auto, Motor, Sport noch 1966 spekulierte, der motorisierte Individualverkehr könne „in zwanzig Jahren ganz anders, ja unvorstellbar“ aussehen. Seit Carl Benz und Henry Ford allerdings ist das Auto immer irgendwie das Auto geblieben. Nicht das technisch Mögliche scheint hier mehr Maß der Dinge, sondern das gesellschaftlich Denkbare. Weswegen auch diese IAA so wunderbar denen der 50er-Jahre gleicht.

Aber vielleicht sind es ja tatsächlich noch die „Mythen des Alltags“ eines Roland Barthes, die da in den Frankfurter Messehallen ausgestellt sind – was allerdings weniger auf die Qualität der Mythen als auf die des Alltags verweisen würde.

Jene Citroën DS jedenfalls, die Roland Barthes 1954 zur berühmten Eloge auf das Automobil („Die Kathedrale der Neuzeit“) veranlasste, ist auf der diesjährigen IAA im Übrigen auch vertreten. Nach Mini und New Beetle erlebt nun also auch „die Göttin“ eine automobile Wiedergeburt, als retrofuturistische Oberklasselimousine C6 soll sie in flotter Fahrt über ein verklärtes Gestern in ein ungewisses Morgen rollen. Oder doch in die umgekehrte Richtung? Die Sportwagenfabrik Lamborghini jedenfalls verpasste seinen Luxusflundern einen einheitlichen „Miami Vice“-Look. Perlweiße Lackierungen, schneeweißes Leder, feinste 80er-Dekadenz für die Kunden aus Dubai, Bel Air oder Tötensen.

Das wirklich wahrhaftige Retroauto wurde derweil am kleinen Stand der gar nicht mehr so kleinen Marke Geely von einer chinesischen Fahne verhüllt: Aus dem Reich der Mitte wird eine komplett ausgestattete Mittelklasselimousine auf dem technischen wie ästhetischen Niveau von 1991 zum Preis von 1982 geliefert – als Resultat von Arbeitsbedingungen, die an die Frühzeit des Automobilismus erinnern.

Wer sich nicht von imitierten Holzarmaturen blenden lässt, dem erzählt diese IAA viel von den Häutungen des Kapitalismus – vor allem damit, was alles fehlt. Das gerade erst eingestellte 3-Liter-Auto zum Beispiel. Oder der gerade erst abgewickelte britische Konzern MG Rover, wahrscheinlich nicht die letzte Pleite eines traditionsreichen Autobauers in diesem Jahrzehnt. Nicht zuletzt fehlt auch der gerade erst angekündigte Prototyp des VW-Geländewagens Marakesch, den Konzernchef Pietschesrieder in Wolfsburg gelassen hatte, als Druckmittel im aktuellen Arbeitskampf.

Über alles das, was fehlt, hat der große Motorjournalist Fritz B. Busch übrigens einmal etwas sehr Schönes gesagt, als er die Ausstellung von 1971 als die bisher beste Messe aller Zeiten bezeichnete. Damals war von einer Krise der Branche die Rede. Und die Messe schlicht ausgefallen.