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Verknappung Die Heldin von Linda Boström Knausgårds schmalem Roman „Willkommen in Amerika“ begeht Vatermord, wenn auch nur in GedankenSchuld und Alltag

Kindheitsgeschichten laufen immer wieder gut. In jüngster Zeit haben sie Hochkonjunktur – Paul Austers Mammutroman „4321“ etwa beginnt mit der Beschreibung der Kindheit seines Vierfachprotagonisten; Karl Ove Knausgård hat den dritten Band seines sechsbändigen Großwerks der Kindheit gewidmet und ihn folgerichtig „Spielen“ genannt.

Auch seine Nochehefrau (die Trennung ist bereits vollzogen) Linda Boström Knausgård, mit der er vier Kinder hat, hat sich in ihrem Roman „Willkommen in Amerika“, ihrer Eintrittskarte in die Weltliteratur, ganz der Kindheit verschrieben: Erzählt wird von Ellen, Tochter einer Schauspielerin und eines vom Land in die Stadt geratenen Alkoholikers, der sich nachgerade zu Tode säuft. Für Ellen ein doppelt tragisches Ereignis: Hatte sie sich doch in Gebeten an Gott eben genau diesen Tod ihres Vaters sehnlichst gewünscht. Auf die folgende große Schuld reagiert Ellen mit immer währendem Schweigen: Kein Wort will ihr mehr über die Lippen; ihr Bruder, ihre Mutter und ihr gesamtes Umfeld ertragen das Leiden der Kleinen mit, bis sich das Leben ganz, ganz langsam wieder in Ellens Kopf und auf ihrer Zunge breitmacht.

Zwischen den Zeilen

Damit ist die Handlung dieses schmalen Romans (141 großzügig bedruckte Seiten) im Wesentlichen erzählt. Worauf es aber ankommt, ist das Wie: Linda Boström Knausgård schreibt anders. Wo ihr Exmann Karl Ove zur Ausschweifung, zur besessenen Detailtreue neigt, da legt Linda Boström Wert auf einen poetischen Stil der Verknappung, der Auslassung, des Erzählens zwischen den Zeilen. Die Sätze sind oft kurz, der Rhythmus ist ein stockender. Sätze wie diese, die stark an ihren berühmten Exmann erinnern, bilden die Ausnahme: „Daher ging ich in die Speisekammer und holte einen Zwieback, bestrich ihn mit Butter, tunkte ihn in das Getränk und lutschte dann an dem Zwieback, der im Mund aufweichte.“

Und doch ist der Ansatz gleich zweifach ein ähnlicher. Es geht um den Alltag, es geht um die Schuld. Es geht um Kindheit, erzählt aus einer Innenperspektive – Karl Ove hat in „Spielen“ vorgemacht, wie Kindheit als Krimi funktioniert, sobald der Protagonist, das Kind eben, in ständiger Angst vor Bestrafung die Reaktionen des übermäßig strengen Vaters beäugt. Linda Boströms Ellen hat den Vatermord bereits begangen, wenn auch nur in Gedanken. „Willkommen in Amerika“, ein Titel, der eher irreführend ist, versucht, von „Schuld und Sühne“ zu sprechen, weniger von „Verbrechen und Strafe“.

Ellens Biografie ist nicht weit von derjenigen der Autorin ­entfernt – auch Linda Boström, übrigens Schwedin und nicht Norwegerin, weswegen ihr Buch auch im Original ein schwedisches ist und kein norwegisches – ist die Tochter einer lokal berühmten Schauspielerin; auch sie ist, wie man im Epos ihres Mannes, besonders in „Lieben“, ausufernd erzählt bekommt, nicht frei von, gelinde ausgedrückt, psychischen Spätfolgen. Aber „Willkommen in Amerika“ ist keine Abrechnungsliteratur. Der Roman ist nicht auf einen Vergleich aus oder überhaupt auf eine Antwort auf die Bücher Karl Ove Knausgårds. Es weist Verwandtschaften auf, aber es ist eigenständig.

Und es liest sich gut und eindrücklich, auch wenn man immer wieder versucht ist, den Kinderpsychologen ­anzurufen, misstrauisch auf die untätige, von Glanz und Gloria ihres Berufs abgelenkte Mutter zu schielen oder schlicht das Geschilderte als ­übertrieben zu beanstanden. Linda Boström Knausgård hat den ersten Schritt gemacht, sich von ihrer Familiengeschichte zu emanzipieren. Ihr Exmann wird der Nächste sein. René Hamann

Linda Bos­tröm Knausgård:„Willkommen in Amerika“. A. d. Schwedischen v. Verena Reichel. Schöffling & Co., 2017, 144 S., 18 Euro

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