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Verrückt, überirdisch, fantastisch

MUSIKFEST Im Rahmen des Musikfestes führt John Eliot Gardiner alle drei Monteverdi-Opern auf. Am Sonntag war eine umjubelte Version von „Il ritorno d’Ulisse in patria“ in der Philharmonie zu erleben

John Eliot Gardiner gründete vor 53 Jahren den Monteverdi Choir Foto: Chris Christodoulou

von Katharina Granzin

Was war wohl der schwierigste Moment während aller Abenteuer des Odysseus? Möglicherweise jener, als er nach über 20 Jahren Irrfahrt zu Penelope zurückkehrte, die mittlerweile kaum noch mit seiner Rückkehr rechnete. Für jede Beziehung wäre eine solche Situation schwierig. – Für die Oper „Il ritorno d’Ulisse in patria“ haben Claudio Monteverdi und sein Librettist Giacomo Badoaro diesen Moment gewählt. Im Zentrum der Handlung steht allerdings nicht der im Titel genannte Held. Der „Ulisse“ ist vor allem eine Oper über Penelope. Über das tapfere, etwas störrische Beharren der Königin auf ihrer Keuschheit und der Liebe zu dem Verschollenen, über intrigante Hofschranzen und Freier, und über Odysseus, der, klug wie stets, sich bei seiner Rückkehr nicht sofort als der zu erkennen gibt, der er ist, sondern sich als Bettler verkleidet.

Dreieinhalb Stunden vergehen wie mit einem Fingerschnipsen, als am Sonntagabend Monteverdis „Ulisse“ in einer halbszenischen Aufführung (Inszenierung: Elsa Rooke) über die Bretter der Philharmonie geht. Der dreiteilige Monteverdi-Opernzyklus, den man sich zum 450. Geburtstag des italienischen Barock-Komponisten ins Programm geholt hat, ist ein absolutes Highlight des diesjährigen Musikfestes. Die geballte Präsenz von Sir John Eliot Gardiner und den English Baroque Soloists ist schon deshalb etwas Besonderes, da die alte Musik auf dem Berliner Festival in der Regel eher unterrepräsentiert ist.

Gardiner gründete vor 53 Jahren den Monteverdi Choir – ein Teil ist auch dieses Mal dabei – und ist damit einer der hochverdienten Heroen jenes Teils der Musikwelt, der sich der möglichst authentischen, historisch fundierten Aufführungspraxis alter Musik verschrieben hat. Selbstverständlich hat er für die Aufführung der drei Monteverdi-Opern (mehr sind nicht erhalten) ein handverlesenes Ensemble zusammengestellt, das diesen Ansprüchen perfekt entspricht. Die SolistInnen stammen aus allen Ecken Europas. Selbstverständlich dirigiert er die dreieinhalb Stunden mit der größten, dabei präzisesten Gelassenheit. Selbstverständlich ist der Zusammenklang zwischen Orchester, SolistInnen und Chor vollkommen. Es scheint so, als wäre alles ganz leicht. (Verrückt, irgendwie.)

Die neue Gattung Oper

Zwischen Monteverdis erster Oper „L’Orfeo“ von 1607 – die Gardiner und die Seinen am vorhergehenden Abend aufgeführt haben – und „Il ritorno d’Ulisse in patria“ liegen 33 Jahre. Mittlerweile hatte sich die neue Gattung Oper so sehr etabliert, dass in Venedig, wo Monteverdi hauptberuflich als Kirchenmusiker wirkte, ein eigenes Opernhaus eröffnet wurde. In diesem Kontext entstand der „Ulisse“. Dass Monteverdi und Badoaro eine weibliche Hauptperson ins Zentrum des Werkes rückten, hing sicherlich auch damit zusammen, dass die erfolgreiche Einführung der Oper als neues musikalisch-dramatisches Format einherging mit der allmählichen Etablierung des Sängerinnenberufs als akzeptierter künstlerischer Beschäftigung für Frauen. Es traten jedoch auch weiterhin Kastraten in Frauenrollen auf.

Wenn Gardiner nun die Partie der Penelope mit der französischen Mezzosopranistin Lucile Richardot besetzt, kann diese Wahl wohl auch als musikalischer Kommentar auf die geschlechterübergreifenden Rollenbesetzungen des Barock gesehen werden. Denn Richardot, die ihre Penelope mit großer stimmlicher und darstellerischer Präsenz singt, verfügt über eine Stimme mit seltener Färbung, die man – jedenfalls mit geschlossenen Augen – vor allem in tieferer Lage durchaus für die eines männlichen Altisten halten könnte.

Furio Zanasi singt einen Odysseus, dessen warmer Bariton die zu Recht spröde gewordene Gattin erst auftauen muss, damit Penelope sich zum Schluss in stimmlich weiblichere Gefilde hochschwingen kann. Die tschechische Sopranistin Hana Blažíková darf die Göttinen Fortuna und Minerva geben, dabei die schönsten Kleider von allen tragen und mit unfassbarer Leichtigkeit die schwierigsten Koloraturen so singen, als müsste man die einfach nur so dahinträllern. Auch alle anderen sind großartig besetzt. Überirdisch phantastisch schließlich sind die Chöre, von denen es aber leider nur sehr wenige gibt.

Die dritte und letzte der Monteverdi-Opern, „L’incoronazione di Poppea“, die von der nicht ganz schicklichen Liebesgeschichte zwischen Nero und Poppea handelt, wird am heutigen Dienstag gegeben, mit Hana Blažíková als Poppea und Sir John Eliot Gardiner auf dem Dirigentenstuhl. Das Musikfest geht bis zum 18. September weiter. Es wird noch mehr Monteverdi mit dem Rias-Kammerchor zu erleben sein, der am übernächsten Wochenende unter anderem die „Marienvesper“ aufführt. Ein weiterer Schwerpunkt ist dem koreanischen Komponisten Isang Yun gewidmet.

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