Blutstau im Tal der Tränen

MISERABILISM Arab Strap, die beiden melancholischen Schotten, sind wieder da. Und spielen heute beim Festival „Pop-Kultur“ in Berlin. Hingehen!

Da entdeckt man, dass das Leben nicht nur Abgründe bereithält – und schon ist die gemeinsame Arbeitsgrundlage futsch. So ging es offenbar dem schottischen Duo Arab Strap. 2006 lösten sie sich nach zehn Jahren Bestehen auf, obwohl es mit ihnen musikalisch eigentlich immer interessanter wurde. Doch einer der beiden, Sänger Aidan Moffat, hatte plötzlich eine Freundin, mit der es zur Abwechslung mal gut lief. Wie soll man da noch typische Arab-Strap-Songs schreiben, in denen es vor allem um Abgründe und Abstürze ging und um reichlich sexuelle Frustration?

Mittlerweile ist Moffat verheiratetet und hat zwei Kinder. Mitmusiker Malcolm Middleton entdeckte derweil sein Herz für eingängige Melodien, etwa auf seinem Soloalbum „A Brighter Beat“ (2006). Auch wenn man Middletons Songs nicht wirklich fröhlich nennen kann, entwickelten sie immer mehr Pop­appeal, zuletzt auf dem fast luftigen „Summer of ’13“ aus dem vergangenen Jahr. Er selbst bezeichnet sein Schaffen einmal als „Popmusik für Menschen, die Popmusik hassen“.

Nicht nur Middleton blieb nach dem Ende von Arab Strap umtriebig, auch Moffat hatte gut zu tun: als Briefkastenonkel des Online-Musikmagazin The Quietusgab er unter der schönen Überschrift „I am not an expert“ Sex- und Beziehungstipps. Zudem brachte er mit „I Can Hear Your Heart“ ein Poetry-Album heraus, veröffentlichte Musik unter dem Pseudonym L. Pierre und tourte vergangenes Jahr durch Schottland, mit Neuinterpretationen traditioneller Folk-Songs im Gepäck.

Zueinander gefunden haben Moffat und Middleon in der Kleinstadt Falkirk, aus der sie auch stammen. Den Ausschlag, zusammen Musik zu machen, gab ihre geteilte Begeisterung für US-Künstler wie Smog oder Bonnie „Prince“ Billy. Ihr Debüt „The Week Never Starts Around Here“ (1996) war ein sarkastischer Kommentar zum Pseudohedonismus im Post-Thatcher-Britannien. Ihr elektroakustischer Sound klang da noch recht reduziert. Bald erweiterten sie ihre musikalische Palette und ließen sich vom Indierock aus von der Dance-Kultur inspirieren. Der schottischen Mundart bleiben sie treu.

Die kommerziell weitaus erfolgreichere Twee-Pop-Band Belle & Sebastian, ebenfalls aus Glasgow, erwies Moffat und Middleton übrigens einst die Ehre und nannte ihr drittes Album „The Boy with the Arab Strap“ – angeblich ohne zu wissen, was ein „arab strap überhaupt ist (ein Sexspielzeug, mit dem durch Abbinden ein Blutstau im Penis erzeugt wird). Bei Moffat und Middleton kam diese Form der Verbeugung nicht gut an und führte zu einer Kabbelei zwischen den beiden Bands.

Verabschiedet haben sich Arab Strap dann nach ein paar tollen Alben mit der Compilation „Ten Years of Tears“, einer wirklich detailverliebte Sammlung ihrer Hits, Liveversionen, B-Seiten und akustischen Raritäten, auf der im letzten Track Bonnie Tylers „It’s A Heartache“ ganz toll geschlachtet wird. Mit Bläsern und einem treibenden Rhythmus kommt das fast euphorisch daher. Überhaupt muss man die Behauptung einer tränenreichen Dekade als Koketterie verstehen, schließlich steckte in Arab Straps Inszenierung von jeher mehr als nur ein bisschen Selbstironie. Trauerklumpig, wie es die Schubladen-affine britische Musikpresse gerne behauptetet, waren Arab Strap nie. Der New Musical Express etwa erklärte Arab-Strap einst zum Aushängeschild des miserabilism – was so viel bedeutet wie, dass es einem schlecht geht und man sich darin auch noch suhlt. Doch das wird ja ziemlich schnell öde – und langweilig war es mit Arab Strap nie. Trotz der Brandlöcher im Sofa und dem fahlen Licht, in das die vergilbten Tapeten nach einer weiteren vergeigten Nacht getaucht waren, gab es bei ihnen eben auch säuselnde Geigen und viel beißenden Humor.

Obwohl die beiden ihr gemeinsames Projekt bei Auflösung offenbar für auserzählt hielten – vor allem Middleton betonte wiederholt, dass er keinen Anlass für eine Reunion sähe – kam diese dann doch zustande. 2011 für einen einmaligen Auftritt, vergangenes Jahr hieß es dann auf ihrer Website plötzlich „Hello Again“. Neue Songs gab es leider nicht, doch etliche Gelegenheiten, die Band noch einmal live zu erleben: „Solange wir noch einigermaßen jung sind und nicht zu peinlich aussehen.“ Mit „20 Songs For 20 Years“ erschien zudem auf ihrem einstigen Label Chemikal Underground eine weitere Compilation, wie immer zusammengestellt mit reichlich Herzblut.

Stephanie Grimm

Arab Strap: „20 Songs for 20 Years“ (Chemikal Underground/PIAS); live 25. 8., Franzz Club, Berlin, weitere Infos: www.pop-kultur.berlin