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„Ich bin kein Besserwessi“

Wahlkampf Im Wahlkreis Dessau-Wittenberg versucht ein westdeutscher Sozialdemokrat, verlorenes Vertrauen ostdeutscher Wähler zurückzugewinnen. Große Chancen hat Stefan Stader nicht, bei der letzten Wahl lagen CDU und Linke vor der SPD

Trotz allem gut gelaunt: Stefan Stader auf dem Roßlauer Heimat- und Schifferfest Foto: Pascal Beucker

Aus Dessau-Roßlau Pascal Beucker

Zum Auftakt des Roßlauer Heimat- und Schifferfests steht Stefan Maria Stader auf einer Wiese und hört einem alten Mann zu. Der erzählt von den 43 Jahren, die er auf der damals großen Roßlauer Schiffswerft gearbeitet hat. Von den Fischkuttern, die hier zu DDR-Zeiten vor allem für die Sowjetunion gebaut wurden. Von dem Schiff, das er 1972 nach Kuba überführt hat.

Stader hat die Ärmel seines weißen Hemdes hochgekrempelt. Mit seiner Leibesfülle und seinem niederrheinischen Akzent strahlt der 59-Jährige etwas Gemütliches aus. Den alten Mann unterbricht er nicht. Als nach der Wende die Treuhand die Werft übernahm, hätten hier noch 2.300 Menschen gearbeitet, jetzt seien es keine 300 mehr, sagt er mit Wehmut in der Stimme. Er selbst ist damals in Rente gegangen. „Das ist mir sehr schwer gefallen“, sagt der alte Mann. Stader nickt.

„Zuhören ist wichtig“, sagt er später. Stader ist ein unerschütterlicher Wahlkämpfer, auch wenn seine Aussichten alles andere als gut sind. Bei der Wahl 2013 konnte im Osten nur Frank-Walter Steinmeier ein Direktmandat für die SPD ergattern. Wenig spricht dafür, dass es 2017 besser ausgeht.

Als sich Stader im Herbst 2016 dafür entschied im Wahlkreis Dessau-Wittenberg anzutreten, hatte die örtliche SPD ein Jahr lang vergeblich nach einem Kandidaten gesucht. Dann fiel dem Wittenberger SPD-Kreis­chef sein alter Kollege ein. Die beiden kennen sich aus ihrer Zeit in der SPD-Bundestagsfraktion. Seit 2001 arbeitet Stader dort als Büroleiter eines Kölner Abgeordneten. Er überlegte ein paar Tage, dann griff er zu.

Mit dem gebürtigen Mönchengladbacher tritt ein westdeutscher Sozialdemokrat in der ostdeutschen Diaspora, ein gläubiger Katholik im Kernland der Reformation an. Das klingt nicht nach einer Erfolgsgeschichte. Doch Stader glaubt: Es passt. „Ich bin kein Besserwessi, der belehren will, sondern habe Respekt vor den Biografien.“

In ein paar Tagen wird Stader sechzig Jahre alt. Seit 1989 ist er in der SPD. „Mein großer Vorteil ist, dass ich ein gelebtes Leben hinter mir habe.“ Da braucht er nicht mehr an die Karriere zu denken; Minister oder Staatssekretär wird er ohnehin nicht mehr. „Also muss ich auch keine falschen Rücksichten nehmen“, sagt er.

Seine Aussichten, demnächst im Bundestag nicht mehr im Maschinenraum, sondern an Deck zu arbeiten, stehen nicht allzu gut. Auf der SPD-Landesliste steht Stader auf dem letzten Platz. Dass er das Direktmandat holt, wäre eine Sensation. Bei den vergangenen beiden Bundestagswahlen landete der jeweilige SPD-Mann mit weniger als 20 Prozent auf dem dritten Platz hinter den Kandidaten der CDU und der Linkspartei. Jetzt kommt auch noch die Konkurrenz von der AfD hinzu.

Die sozialdemokratische Misere hält Stader in weiten Teilen für hausgemacht. „Wenn man mehrfach von jemanden enttäuscht worden ist, ist Vertrauen zerstört.“ Besonders die Arbeitsmarktreformen während der Schröder-Ära nehmen viele Menschen der SPD immer noch übel. „Da haben wir große Fehler gemacht, die fatale Folgen hatten.“ Stader will nichts schönreden.

Das Umfragehoch nach der Kanzlerkandidatur von Martin Schulz ließ auch Stader träumen. „Da hat sich gezeigt, was möglich ist“, sagt er. Doch der Schulz-Hype ist längst verflogen. Die soziale Gerechtigkeit in den Mittelpunkt zu stellen, wäre genau richtig gewesen, ist Stader überzeugt. „Martin Schulz hat stark angefangen, aber so hätte er auch weitermachen müssen.“ Er hätte sich von ihm „viel mehr Mut gewünscht“. Zum Beispiel weitergehende Korrekturen an der Agenda 2010 als die Einführung eines Arbeitslosengelds Q.

Auch die permanente Abgrenzung der SPD-Spitze von Rot-Rot-Grün kann er nicht nachvollziehen. „Wenn die Menschen nicht erkennen, dass wir wirklich etwas anderes wollen als nur eine Fortsetzung der Großen Koalition, dann werden sie uns auch nicht wählen.“ Es ärgert ihn, dass seine Partei „immer so kleinmütig ist“.

Trotz seiner kritischen Haltung zur SPD-Regierungspolitik hat sich Stader zur Unterstützung Parteiprominenz in die Provinz geholt: Andrea Nahles war schon da, Ex-SPD-Chef Franz Müntefering steht noch auf dem Programm. „Ich habe zwar keine Chance, aber die nutze ich“, sagt Stader lachend.

Für den Wahlkampf hat er sich das Auto eines alten Aachener Freundes geliehen. Wenn es abends zu spät wird, um die rund 120 Kilometer zurück nach Berlin zu fahren, übernachtet er bei Genossen. „Die Erfahrung, die ich jetzt in meinem Alter mache, kann mir niemand mehr nehmen“, sagt Stader.

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