: Den Kopf voller Musik
IGA I Melancholisch, ehrlich, frisch – so sind die Songs von Naima Husseini. Heute tritt die Wahlberlinerin beim „popdeurope“-Festival in den Gärten der Welt in Marzahn auf
von Linda Gerner
Naima Husseini sitzt im bunt gemusterten Hemd in einem Neuköllner Café, trinkt Cappuccino und erzählt: von ihrer frühen musikalischen Prägung durch das Gitarrenspiel ihres Vaters. Davon, wie er ihr am Kinderbett vorgespielt habe – „klischeehaft, aber idyllisch“, wie sie sagt. Vom Singen mit ihrer Mutter und vom Einfluss ihrer beiden Schlagzeuger-Onkel. Husseini, eine braunhaarige Frau mit großen, dunklen Augen, ist gebürtige Hamburgerin, und sie wächst in einer Musikerfamilie auf. Ihre Eltern benannten sie nach dem gleichnamigen Song von John Coltrane. Spannend klingt das alles – doch sie selbst möchte am liebsten schnell über die Gegenwart sprechen. Sie stecke gerade mitten in den Aufnahmen für ihr neues Album, ihr Kopf sei voll von Musik. Ihre Begeisterung ist spürbar.
Im Frühjahr nächsten Jahres soll es erscheinen, das dritte Album der Sängerin. Es ist das erste, das sie mit Band – Keyboarderin Irma Samuelis und Schlagzeuger Fabian Steven – einspielt. Husseinis aktuelles Album „Immer alles“ erschien im Mai 2016. Die dreizehn Songs darauf sind melancholisch-sphärischer Pop mit eingängigen Liedtexten. Am Wochenende tritt Husseini damit gleich zweimal beim zweitägigen popdeurope-Festival im Rahmen der IGA auf. Doch die Multiinstrumentalistin fliegt unter dem Radar, nur selten hört man ihre Songs im Radio.
Dabei hätte die Karriere der 36-Jährigen ganz anders verlaufen können. Schon mit Anfang zwanzig schreibt sie eigene Lieder. Dozenten vom Popkurs Hamburg an der Hochschule für Musik und Theater, wo es sie hinverschlägt, bestärken sie, deutsche Texte zu singen. Zielstrebige Karriereambitionen verfolgt Husseini damals nicht: „Ich war eher eine Träumerin. Wenn ich jetzt junge Musiker kennenlerne, merke ich oft, dass die schon konkrete Pläne haben, wie sie sich promoten wollen. Das war für mich völlig uninteressant. Ich hab einfach immer was Kreatives gemacht.“ Neben ihrer Musik studiert sie in Hamburg auch Kunst. Nach sechs Semestern bricht sie das Studium ab.
Denn der Schritt ins Musikgeschäft kommt für Husseini 2008 fast überfordernd schnell: Ihr damaliger Freund Thomas Hessler, Sänger und Gitarrist der Hamburger Rockband Fotos, schickt Husseinis Demotape an seinen Produzenten. Begeistert kontaktiert dieser das Plattenlabel Universal Music. Husseini unterschreibt einen Vertrag und gründet die Popband Silvester. Husseini ist Frontsängerin und fühlt sich in der fünfköpfigen Band zunächst wohl.
Doch ihre Debütsingle „Du willst mehr“ schlägt nicht wie gewünscht ein. Universal möchte eine kommerziellere Veränderung des Popalbums und Husseini als Solokünstlerin promoten – das sei erfolgsversprechender. Die Band löst sich auf, Husseini zieht nach Berlin und veröffentlicht 2011 ihr Soloalbum „Naima Husseini.“ Darauf sind einige ihrer für die Band geschriebenen Songs zu hören – doch vom „straighten Pop“ (Husseini) entfernt sie sich, elektronische- und Indie-Einflüsse verändern ihre Musik.
Man könnte es elektronischen Dream-Pop nennen, was Husseini nun macht. Die Sängerin selbst beschreibt, dass sie versuche einen klaren Sound zu machen, der „ein wohliges Gefühl verbreitet ohne dabei naiv zu sein.“ In Abgrenzung zu Feelgood-Popsongs ist es ihr wichtig, Melancholie durchklingen zu lassen.
Ein bisschen proeuropäischer Geist kann in diesen Tagen nicht schaden. Dachten sich auch die Macher des popdeurope-Festivals, das heute und morgen im Rahmen der IGA in den Gärten der Welt läuft. An zwei Tagen gibt es von 11 Uhr an Musik und Neuen Zirkus, mit dabei sind unter anderem Shantel & Bucovina Club Orkestar, Tété aus Frankreich, der Hoffnungschor aus Syrien, das Universal Druckluftorchester und sehr viele weitere Acts. Naima Husseini wird heute um 12 Uhr bereits als eine der ersten Interpretinnen auf der Bühne stehen.
Husseini singt auf Deutsch, will dabei phrasenreiche, irrelevante deutsche Songtexte vermeiden: „Ich hab den Anspruch, in meinen Liedern eine ehrliche Aussage zu treffen und nicht in irgendwelche Wortspiele abzudriften.“ Das gelingt oft gut, etwa im Song „Mensch“, und auch mal weniger wie im Lied „Lauter“.
Ihre Wahlheimat Berlin sieht Husseini dabei als Standortvorteil. Es gebe viel Austausch in der Kreativszene, aktuell freut sie sich über einen Zusammenschluss vieler Musikerinnen: „Es passiert hier gerade eine Vernetzung, bei der wir uns gegenseitig stark machen“, sagt die Sängerin. Der Grund ist klar: Noch immer sind Frauen unterrepräsentiert auf Bühnen und in Clubs. Nun fänden regelmäßige Treffen statt, bei denen sich Berliner Musikerinnen bei der Suche nach Auftrittsmöglichkeiten, dem Schreiben von Songs oder der Auswahl der Studios gegenseitig unterstützen.
Beim popdeurope wird Husseini ein Set ohne Band spielen. Auf das Festival mit dem bunt zusammengewürftelten Line-up freut sie sich: „Ich finde es schön, bei so etwas dabei zu sein. Bei einem solchen Festival kann die Vielseitigkeit der Künstler noch überraschen. Das ist keine elitäre Klischeenummer, wo alles durchgestylt ist.“ Und so ein Get-together ohne übertriebenen Schnickschnack, das passt dann doch ganz gut zu dieser Naima Husseini.
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