: Seltsamer Gleichschritt
HAFT Regisseur Kirill Serebrennikow wurde festgenommen
Was in Russland im Zeugenstand beginnt, endet oft auf der Anklagebank. So erging es auch dem Regisseur Kirill Serebrennikow. Am Dienstag nahm Moskaus Ermittlungsbehörde den 47-Jährigen in Gewahrsam. Ihm wird die Veruntreuung von umgerechnet einer Million Euro zur Last gelegt. Die Summe war für „Plattform“ bestimmt, eine experimentelle Werkstatt, die 2011 unter seiner Leitung gegründet wurde.
Überrascht hat die Inhaftierung des bekanntesten russischen Regisseurs niemand. Wer in den Zeugenstand der dortigen Justiz gerät, wird zunächst auf individuelle Widerstandskraft getestet. Dann mahlen die Mühlen des Unrechtssystems. Bereits im Mai wurden ein früherer Direktor des von Serebrennikow gegründeten Gogol-Zentrums, eine Buchhalterin und ein Leiter der Bühne „Studio sieben“ festgesetzt. Sie bestritten zunächst, an finanziellen Machenschaften beteiligt gewesen zu sein. Anfang des Monats sagte die Buchhalterin Nina Maslajewa gegen Serebrennikow und die Mitangeklagten aus. Demnach hätte sie auf sein Geheiß ein System ausgearbeitet, um Mittel aus dem „Plattform“-Projekt umzuleiten. Sie bekannte sich schuldig.
Zu denken gibt im Zusammenhang mit der angeblichen Veruntreuung etwas anderes. Das Theater soll staatliche Gelder für eine Aufführung von „Sommernachtstraum“ unterschlagen haben. Dass das Stück in Moskau und im Ausland gezeigt wurde, Rezensionen darüber erschienen, reichte den Klägern nicht. Nur was die Behörde anerkennt, hat auch stattgefunden. Das könnte aus der Feder Gogols stammen, der schon im 19. Jahrhundert über die Kongruenz von Realsatire und Wirklichkeit im Russland geschrieben hat. Bereits im Vorfeld war Serebrennikows Reisepass eingezogen worden. Dadurch kann er Verpflichtungen an Auslandsbühnen nicht nachkommen.
Ob Putin hinter der Hatz auf den Theaterschaffenden steht, ist nicht bekannt. Er verurteilte die Ermittlungen gegen den Star zunächst. Auch Parteigänger Putins setzten sich für Serebrennikow ein. Sollte es ein kulturferner Kulturminister sein, der sich an dem Schwulen rächen will? Angeblich sei es Kulturminister Medinski gewesen, der im Juli Serebrennikows Ballett über den russischen Startänzer „Nurejew“ aus dem Programm des Bolschoi-Theaters streichen ließ. Nurejew war ein bekennender Schwuler. Auch die orthodoxe Kirche könnte ein Machtwort gesprochen haben. Trotz Gleichschritts ist es unübersichtlich geworden in Russland.
Klaus-Helge Donath
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