Mal eine Runde schwimmen

New York Die Galerien und Museen der Stadt haben sommerliche Themen im Programm, und deshalb sieht man Kunst, die wirkt wie der Blick aufs stille Meer

Hélio Oiticica vor einem Poster des Neil-Simon-Stücks „The Prisoner of Second Avenue“, in Midtown Manhattan, 1972 Foto: Whitney Museum

VON Jana Janika Bach

So schmeckt der New Yorker Sommer: türkisblau, himbeerrot und klebrig gelb, wie eine knackende Schokohülle im Mund und Vanilleeiscreme auf der Zunge.

Zumindest serviert die Robert Mann Galerie in Chelsea aktuell solch süße Versprechen in blendender Glasur. Hier reiht sich knallbunt Eis am Stiel aneinander: Für ihre Fotoserie „Pop­sicles“ hat das Künstlerduo PUTPUT Spülschwämme so appetitlich in Szene gesetzt, dass das Auge dem Verstand nicht glauben mag.

Gegenüber dem Eishappen-Œuvre hängt eine historische Aufnahme Ted Croners. Das kleine Mädchen, den Mund umrundet von heller Creme, schaut in die Linse des Fotografen, der für Vogue und Coca-Cola arbeitete und die New York School of Photography in den 1940ern und 50ern entscheidend mitprägte.

Und dann tropft mit Streusel überzogen das Eis die weiße, abgeschnittene Levis hinunter. Olivia Locher hat ein absurdes, noch immer bestehendes Gesetz in Alabama fotografisch umgesetzt. Wer dort eine Eistüte in der hinteren Gesäßtasche transportiert, bricht es.

Und mit ihrem Titel „I Scream, You Scream, We All Scream for Ice Cream“ – ein Song, der erstmals 1927 veröffentlicht wurde und der als Single der Firma Eskimo Pie so etwas wie Nationalgut darstellt – beschwört die Gruppenschau also nicht nur Bilder eines launigen Augustnachmittags, sondern auch die aus dem Jarmusch-Film „Dawn by Law“, Roberto Benigni alias Roberto, der den Song in seiner Gefängniszelle anstimmt.

Blaupause in der Lisson Gallery: Dort ein Quadrat in Azur, im Herzen ein verwaschenes Aquamarin-Trapez. Die abstrakte Malerei des Künstlers Peter Joseph ist inspiriert von Natur und klassischer Architektur. Farbfelder in Pastell, mit Tiefe und Bewegung, die auch als Referenz an die Rolling Hills im englischen Cotswolds zu lesen sind, wo sich Josephs Atelier befindet. Dennoch geben sie viel Raum, um Gedanken fliegen zu lassen. Hier zu hocken ist so beruhigend, wie aufs stille Meer zu schauen.

Nur einen Katzensprung weiter umkreisen die Arbeiten in der De Buck Galerie die von Wissenschaftlern aufgestellte These, das menschliche visuelle Spektrum würde sich künftig erweitern und Farbe und Licht würden von uns dann ähnlich wahrgenommen werden, wie Bienen oder Fledermäuse es tun. Da könnte etwas dran sein: Bei der Betrachtung von Robert Lazzarinis Gemälde, einem mehrdimensionalen Frauengesicht, wird einem ganz schwindelig. Von Chelsea, dem Galerien­bezirk, kann man dann über die Highline nach Manhattan schlendern. Bei 34 Grad bloß nicht runter in eine Metrostation steigen.

In der Allouche Gallery zeigen die „Summer Girls“ viel nackte Haut. Wird hier Weiblichkeit gefeiert oder die Darstellung von Frauen in der zeitgenössischen Kunst zur Kontroverse gestellt? Andy Warhols Porträt „Lola Jacobson“ gegenüber räkelt sich eine dralle Blondine, über ihr fliegen US-Bomber. Das Lucky Strike Girl, ebenfalls eine Illustration von Hajime Sorayama, hat immerhin einen Bikini an.

In der Aicon Galerie bekleiden dann hauptsächlich Federn die Frauen und Männer, teils auch Tiermasken. Eine Art moderne Papagenas und Papagenos. Mit der Malerei und Zeichenkunst des indischen Künstlers Surendran Nair entwirft „Cuckoonebuopis: (Flora and Fauna)“ ein surrealistisches Utopia, das in Anlehnung an das Stück „Birds“ des griechischen Dramatikers Aristophanes entstand.

Barfuß in die Wüste

Zwischen Kakteen und Bananen-Palmen stehen stoffbespannte Hütten im Stile der Favelas und eine Voliere mit lebendigen Papageien. In kleinen Fächern verstauen die Besucher im Whitney Museum ihre Schuhe, um dann barfuß die Wüsteninstallation „Tropicália“ erkunden zu dürfen. Das wirkt angesichts der gigantisch aufgeladenen Retrospektive, die sich dem sprudelnden, rauen, bruchstückhaften Schaffen Hélio Oiticicas vornehmlich der 1960er und 1970er Jahre widmet, irgendwie sehr kleinbürgerlich.

1937 in Rio de Janeiro geboren als Enkel eines Philologen, der in einem anarchischen Blatt publizierte, und als Sohn eines Fotografen, wurde Oiticicar bereits mit 16 Jahren in der hiesigen Kunstschule aufgenommen. Er war dann auch eines der jüngsten Mitglieder des brasilianischen „Neoconcretismo“.

Neben abstrakten Arbeiten, mit denen die Schau „Hélio Oiticica: To Organize Delirium“ eröffnet, zum Beispiel ein mango-gelber Kubus, sprechen diverse Schriftstücke, Fotos und Filme Bände von einem heterosexuellen Leben, das bis oben hin angefüllt war: von Liebe, Sex, Drogen, Politik und der Kunst.

Neben Tänzern in selbst entworfenen Kostümen, Kokain-Exzessen, Frauen und Männern in roten Seidenkleidern – lasziv, progressiv, halbnackt – gehen Sätze wie „A pureza é um mito“ / „Reinheit ist ein Mythos“ unter die Haut. Der Schmutz, der Schweiß, das Suchen und Schwanken von vor 40 Jahren erscheint echt, die Welt drumherum dagegen künstlich.

Noch mit Sand zwischen den Zehen und einem etwas beklommen Gefühl wird die finale Installation durchwatet, ein Wasserbecken, dann wieder Strand unter den Füßen. „PN27 Penetrável, Rijanviera“ entstand 1979, ein Jahr bevor Oiticica an einem Schlaganfall starb.

Sich ganz dem Rauschen der Wellen hinzugeben ist aktuell bei der Galerie David Zwirner möglich. Der Film „Seascape“ von James Welling ist eine Hommage des Künstlers an seinen Großvater, der mit dem Impressionisten Wilson Irvine studierte. Für die Installation nutzte Welling Aufnahmen seines Opas, der den Atlantischen Ozean immer wieder abfilmte, um Vorlagen für seine Ölgemälde zu erstellen. Mithilfe digitaler Prozesse sind beide Ursprungsquellen in Wellings Werk mit eingeflossen.

Wer es leibhaftig an einen der New Yorker Strände schafft, der könnte das von Katharina Grosse besprühte Haus, die Outdoor-Installation „Rockaway!“ des Moma PS1, in Fort Tilden begehen. Oder einfach eine Runde schwimmen.