piwik no script img

Archiv-Artikel

Bundes-CDU folgt Berliner Trend

Bei der letzten Berlin-Wahl verlor die CDU 17 Prozent. Nun schmiert sie auch im Bund ab. Wowereit freut sich über grandiose Aufholjagd. Grüne feiern Gang in die Opposition. Lautester Jubel bei der FDP

Für Berliner ist es ein gewohntes Bild: lange Gesichter bei der CDU am Wahlabend. Nur 35,5 Prozent der WählerInnen stimmten nach ersten Prognosen bundesweit für die CDU. Noch vor drei Monaten wurden ihr in Umfragen fast 50 Prozent prognostiziert. Einen ähnlichen erdrutschartigen Verlust konnte zuletzt Frank Steffel einfahren. Bei der aufgrund des Bankenskandals notwendig gewordenen vorgezogenen Neuwahl zum Abgeordnetenhaus verlor die Berlin CDU fast 17 Prozentpunkte. In den für über 2.000 Gäste aufgebauten Zelten der Union vor dem Konrad-Adenauer-Haus herrschte blankes Entsetzen. Nur das gute Abschneiden der FDP wurde ein wenig bejubelt.

Wesentlich besser war die Stimmung bei der SPD. Obwohl sie gegenüber der letzten Wahl deutlich mehr verloren hat als die Union, ist die SPD mit einem blauen Auge davongekommen. Berlins Regierender Bürgermeister Klaus Wowereit sprach von einer „grandiosen Aufholjagd“. Kanzler Gerhard Schröder habe „alles in die Waagschale geworfen – mit Erfolg“. Im Wahlkreisbüro der SPD in der Neuköllner Karl-Marx-Straße bricht verhaltener Jubel aus, als die erste ARD-Hochrechnung verkündet wird. Auch das schlechte CDU-Resultat wird mit Applaus registriert. Lautstarker Jubel unter den etwa 20 bis 25 Neuköllner Wahlkämpfern bricht allerdings aus, als die Sitzverteilung im Bundestag prognostiziert wird: keine Mehrheit für Schwarz-Gelb. Danach beginnt das große Rechnen: Für welche Koalition reicht das alles noch? Ein Genosse ist sogar schon zu Scherzen aufgelegt: „Neuwahl, Neuwahl, Neuwahl!“, ruft er durch den Raum.

Ohrenbetäubender Jubel hallt daher auch durch den Hangar des Flughafengebäudes Tempelhof – obwohl die dort feiernden Grünen ihr Wahlergebnis von 2002 allenfalls halten konnten. „Küche, Kirchhof, Katastrophe“, kommentierte ein Sprecher auf dem Podium die erste Prognose. Kein Widerspruch wurde laut, als Katrin Göring-Eckhart über die Medien-Leinwand verkündete: „Wir stellen uns auf die Opposition ein.“ Ein älteres Paar auf der Wahlparty sagte: „Scheiße, dass die FDP so zugelegt hat – aber das sieht verdammt nach großer Koalition aus.“ Immer wieder wenn CDU-Promis auf der Leinwand auftauchen, reagiert das Publikum mit lauten Buhrufen.

Der Berliner Abgeordnete Oliver Schruoffeneger freute sich, dass seine Partei das Ergebnis gehalten habe. Eine Ampelkoalition im Bund hielt er in einer ersten Reaktion für unrealistisch.

Am meisten zu jubeln hatten jedoch die Liberalen. Als die erste ZDF-Prognose auf dem Schirm erscheint, geht ein Aufschrei durch die rund 300 FDP-Anhänger, die auf der Party des Landesverbandes im Nobelrestaurant „Zur Nolle“ in den S-Bahn-Bögen feiern. „Heiliges Kanonenrohr!“, entfährt es einem Mann. „Wir konnten durch unser Programm überzeugen“, kommentiert Berlins FDP-Fraktionschef Martin Lindner. „Dieses Ergebnis ist durch unsere Inhalte zustande gekommen. Mehrere Wirtschaftsinstitute haben in den letzten Tagen klar gemacht, dass die FDP die besten Lösungen anbietet.“ Damit sei klar, so Lindner, wer die drittstärkste Kraft in Deutschland sei, „jedenfalls nicht die unseligen Linken“.

Bei der Linkspartei herrscht dennoch gute Stimmung. Viele Teilnehmer des Festes auf dem Schlossplatz freuen sich über die Verdopplung des Stimmanteils gegenüber 2002. Petra Pau (Linke) freute sich über das Ergebnis ihrer Partei. „Wir haben es geschafft, dass erstmals seit 1949 eine Linke neben der SPD in Fraktionsstärke in den Bundestag einzieht“, freute sich Pau, die neben Gesine Lötzsch in den vergangenen drei Jahren als einzige Vertreterin im Parlament gesessen hatte. Eine Regierungsbeteiligung der Linkspartei schloss sie aus. GA, ROT, US, FLEE, PLU