: And the Heinrich goes to
KINO-SATT In dieser Woche findet das 26. Internationale Filmfest Braunschweig statt. Der Schauspielpreis geht an Oliver Gourmet und die Retrospektive ist dem Filmkomponisten Philippe Sarde gewidmet
VON WILFRIED HIPPEN
Im letzten, dem 25. Jahr, musste es ein großer Name sein und so beehrte Isabelle Huppert für ein paar Stunden Braunschweig mit ihrem Besuch, um dort den europäischen Schauspielpreis „Europa“ zu empfangen. Danach müssen die Organisatoren um den Festivalleiter Volker Kufahl nichts mehr beweisen, und so verleihen sie in diesem Jahr den Preis an einen Schauspieler, dessen Promi-Quotient zumindest in Deutschland eher gering ist. Dabei bekam Olivier Gourmet 2002 in Cannes die Goldene Palme als bester Darsteller für seine Rolle in „Der Sohn“ der Gebrüder Dardenne, in dem er einen Tischlermeister spielt, der in einem der Auszubildenden in seiner Werkstatt den Mörder seines Sohnes erkennt. Der Kontrast zwischen seinem eher klobigen Äußeren und dem sensiblen Innenleben, das er vor allem mit einer verblüffend ausdrucksstarken Körpersprache ausdrücken kann, macht zu einem großen Teil den Reiz dieses Darstellers aus, der seit 1990 in fast 90 Filmen mitgewirkt hat und gerne von Regisseuren wie Michael Haneke, Bertrand Tavernier, Patrice Chéreau und eben den Gebrüdern Dardenne eingesetzt wird. Eine überraschende Wahl, aber durch sie kann man Gourmet in Braunschweig in neun Filmen entdecken, von denen einige nie oder nur sehr begrenzt in Deutschland zu sehen waren. So etwa in dem Roadmovie „Robert Mitchum is dead“, in dem er den Agenten eines Schmierenschauspielers gibt, der diesen auf der Reise zu einem Mitsommer-Filmfest in Norwegen begleitet. In „Burn Out“ spielt er einen ausgebrannten Angestellten, in „Uneasy Rider“ einen Rollstuhlfahrer auf der Suche nach Sex und in „The Lookout“ einen eiskalten Killer. Dieser Thriller mit Daniel Auteuil und Mathieu Kassovitz feiert auf dem Filmfest seine deutsche Premiere, und dies könnte auch etwas mit der Auswahl von Gourmet zu tun haben.
Ähnlich einflussreich im Hintergrund des französischen Kinos arbeitet der Filmkomponist Philippe Sarde, dem in diesem Jahr die Retrospektive der Programmsparte Musik und Film gewidmet ist. Seit den späten 60er Jahren hat er über 200 Spielfilme vertont. Sein Debüt hatte er mit „Die Dinge des Lebens“ von Claude Sautet und danach komponierte er für alle Genres. In den 70er und 80er Jahren war einer einer der meistbeschäftigten Filmkomponisten Europas. 1979 wurde er für seine Arbeit an Polanskis „Tess“ für den Oscar nominiert und zu seinen bekanntesten Soundtracks zählen jene zu Marco Ferreris „Das große Fressen“ sowie „Am Anfang war das Feuer“ von Jean-Jacques Annaud. Da Sarde sein Kommen abgesagt hat, fällt das inzwischen schon traditionelle Filmkonzert, bei dem der Gast das Staatsorchester Braunschweig dirigiert aus und als Ersatz wird wieder einmal Murnaus „Nosferatu“ mit orchestraler Livemusik aufgeführt.
Eine weitere Besonderheit des Filmfests in Braunschweiger ist der Wettbewerb um den „Heinrich“. Dieser ist ein Publikumspreis und wird für den ersten oder zweiten Film eines Regisseurs verliehen. In diesem Jahr haben 170 Filmemacher aus ganz Europa ihre Werke dafür eingereicht und davon wurden 10 Filme für den Wettbewerb ausgewählt. Darunter der Schweizer Film „Trapped“, in dem zwei Studenten in einem Wald nach Wölfen suchen, „Apartment in Athens“ aus Italien über das Leben einer Familie in Griechenland in der Zeit der Besetzung durch die deutsche Wehrmacht und „I am Nasrine“, der von einer jungen Iranerin erzählt, die hofft, in England ein freieres Leben zu führen.
In der Programmschiene „Neues Internationales Kino“ werden schließlich Filme nachgespielt, die auf anderen großen Festivals auffielen. So etwa die Dokumentation „Far out isn’t far enough“, die sich mit dem Werk des Zeichners Tomi Ungerer beschäftigt und für die einige seiner Illustrationen animiert wurden. Der senegalesischen Film „La Pirogue“ von Moussa Tourés beschreibt die abenteuerliche Reise von 30 Männern in einem hölzernen Fischerboot zu den kanarischen Inseln, von wo sie hoffen, sich auf das europäische Festland einzuschmuggeln.
Der neue Film von Francis Ford Coppola wird in Deutschland nur auf DVD veröffentlicht werden. So bietet Braunschweig eine der wenigen Gelegenheiten, diesen Kinofilm auch tatsächlich im Kino sehen zu können. „Twixt“ ist eine ironische Genremischung mit Anleihen bei Edgar Allen Poe, den gerade gängigen Vampirromanen und TV-Kriminalserien. Michael Winterbottom hatte die originelle Idee, in „Trishna“ die Handlung von Thomas Hardys Roman „Tess“ in das heutige Indien zu übertragen. In Braunschweig kann man diese Neuinterpretation direkt mit Roman Polanskis Adaption des gleichen Stoffes vergleichen, die (wie schon erwähnt) in der Retrospektive für Philippe Sarde gezeigt wird. Auch solche Querverbindungen machen den Reiz dieses Filmfests aus.