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Institution von postmoderner Fantastik

Gezeichnete Welten Die Tchoban Foundation zeigt eine Auswahl von rund 50 Arbeiten, in denen das von Alvin Boyarsky geschaffene „Drawing Ambience“ an der Londoner Architectural Association deutlich wird

Jeremie Frank, The Macrophone, 1981 Foto: From the Collection of the Alvin Boyarsky Archive

von Ronald Berg

Was ist ein Makrofon? Nun, im Prinzip handelt ist es sich um die Umkehrung dessen, was man als Mikrofon kennt. Das Makrofon verwandelt Schallwellen in Energie. Auf Jeremie Franks Zeichnung „Macrophone“ kann man sich das Gerät, das einem Motor ähnelt, bis ins feinste Detail anschauen. Beeindruckend an Franks Zeichnung sind die Akkuratesse und die Perfektion, wie er mit dem Airbrush die Materialoberflächen dargestellt hat. Als Frank ihr Makrofon 1981 zu Papier brachte, war sie Studentin an der Architectural Association School of Architecture (AA) in London. Die etwa einen Meter breite Zeichnung ist eines der imposantesten Beispiele für den hohen Stellenwert der Zeichnung in der Ausbildung an der AA.

Jetzt gehört das Bild zu einer Auswahl von rund 50 Arbeiten, mit denen die auf Architekturzeichnung spezialisierte Tchoban Foundation die „Drawing Ambience“ an der AA vorstellt. Ausstellung und Titel der Schau sind eine Übernahme aus den USA. Das titelgebende „zeichnerische Milieu“ bezieht sich nicht nur auf die Inhalte in den einzelnen Blättern, sondern kennzeichnet die besondere Rolle der Zeichnung in der Ausbildung an der AA während der Ära ihres Leiters Alvin Boyarsky. Der Kanadier wurde 1971 Chef der AA und blieb es bis 1990, seinem Todesjahr. Boyarsky kam an die private Schule, als die AA in einer Krise steckte. Die Unterrichtsgebühren konnten die Kosten nicht mehr decken. Eine der Lösungen für dieses Problem bestand darin, die Schule populärer zu machen. Fantastische Zeichnungen von irrwitzigen Entwürfen wie die von Jeremie Frank, die auf ständig wechselnden Ausstellungen der Schule gezeigt wurden, sorgten nicht nur in der Fachöffentlichkeit der Architekten für Furore.

In den 80ern avancierte die AA zu einer Institution von postmoderner Fantastik. Das neue Paradigma der Postmoderne als Frontstellung gegenüber der bereits weidlich kritisierten und diskreditierten Moderne, die Wiederentdeckung der Geschichte und das Moment einer scheinbar grenzenlosen Ideenwelt auf dem Papier, die Boyarsky bereits dem Reich der Architektur zurechnete, verliehen der 1847 gegründeten Schule neuen Ruhm und halfen dabei, Unterstützer und Geldgeber zu werben. Aber die Zeichnung war auch innerhalb der Schule ein Mittel, Zugehörigkeit und Distinktion zwischen den sogenannten Units zu beweisen. In diesen Klassen bildete die spezifische Form der Zeichnung so etwas wie einen Identifikationsrahmen oder ein Branding.

Boyarsky war auch Sammler, und alle Arbeiten der aktuellen Schau stammen aus seinem Nachlass und datieren meist aus den achtziger Jahren. Es handelt sich um studentische Arbeiten aus der AA wie auch um Zeichnungen großer Stars der Architekturszene, die einst hier unterrichteten. Frank Gehry, Zaha Hadid, Daniel Libeskind, Bernhard Tschumi gehörten dazu und auch Rem Koolhaas.

Fantastische Zeichnungen von irrwitzigen Entwürfen sorgten über die Schule hinaus für Furore

Von Koolhaas und seinem Office for Metropolitan Architecture (OMA) gibt es in der Ausstellung zwei stilistisch ganz unterschiedliche großformatige Arbeiten von 1983 zum Wettbewerb für den Park von La Villette im Nordosten von Paris. Koolhaas’ Idee war es, die kompakte Dichte eines Wolkenkratzers von der Vertikalen in die Horizontale eines Parks zu übertragen. In einem schwarzgrundigem, eher technisch anmutenden Plan zum Grundriss der 35 Hektar großen Parkanlage ist eine Struktur aus streifenartigen Kompartimenten zu sehen, ähnlich, als hätte man den Aufriss eines Gebäudes mit seinen einzelnen Etagen vor Augen. In einem zweiten mehr verspielten Plan wird näher herangezoomt und die geplante Szenerie wie im Comic vorgestellt. Zwischen Gemüsebeeten, Schwimmbecken, Hügeln und Baumgruppen tummeln sich Jogger, Angler und Reiter.

Auch Bernard Tschumis Siegerentwurf zum Parc de la Villette ist in der Ausstellung zu sehen. Tschumi setzte ebenfalls auf einen sehr strukturellen Entwurf, verteilte seine „folies“ (Verrücktheiten) aber recht regelmäßig auf der Fläche, wobei die auf der Zeichnung als rechteckige rote Platzhalter erscheinenden folies in ihrem Wesen nicht festgelegt sind. Tschumis plante einen Park mit ständig wechselnden Attraktionen und setzte damit einen Zeitgeist in Szene, der sich bis heute in der Eventkultur erhalten hat.

Die Ausstellung verblüfft nicht nur durch die Heraufbeschwörung postmoderner und dekonstruktivistischer Stilismen, sondern lässt auch erkennen, welches Zauberwerk an Ideen und Formen gerade am Anfang einer neuen Weltsicht passieren und passieren muss. Die Architekturzeichnung war eines der spektakulärsten und werbewirksamsten Medien für diesen Aufbruch in die neue Welt der Postmoderne.

Bis 24. September, Tchoban Foundation, Museum für Architekturzeichnung, Christinen­straße 18a, Prenzlauer Berg, www.tchoban-foundation.de

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