Claudius Prößer verfolgt den Selbstversuch der Linken im Livestream: Kreuzweise durch die Stadt und dabei gar nicht abgehoben
Berlin ist die Stadt der weiten Wege, da beißt die Maus keinen Faden ab. Auch deshalb zieht das Pro-Tegel-Argument so gut, der Westberliner Flughafen liege ja mittenmang, man stolpere quasi aus der Haustür direkt ins Gate. Schönefeld hingegen verorten sie kurz vor dem Ural.
Daran ist erstens problematisch, dass es die Bequemlichkeit vieler über die Gesundheit nicht ganz so vieler stellt. Zweitens stimmt es so gar nicht. Meinen jedenfalls die Linken. Am Donnerstag ließen sie zu Demonstrationszwecken zwei Abgeordnete sozusagen kreuzweise um die Wette zu den beiden aktiven Airports fahren: Katina Schubert vom Märkischen Viertel nach Schönefeld und Carsten Schatz von Köpenick nach Tegel.
Um zehn Uhr starteten sie und dokumentierten ihre Fahrt per Facebook und Twitter. Eigentlich war vorher klar, dass Schuberts Trip etwas länger dauern sollte – es gibt da Apps –, am Ende aber trafen beide fast gleichzeitig an ihrem Ziel ein. Vielleicht auch, weil Schatz sehr streng mit sich war und einen verspäteten TXL-Bus einfach abfahren ließ. Motto: Eigentlich hätte ich den ja nicht bekommen.
Zum Wiedersehen am Alex erschien dann Katina Schubert 14 Minuten früher – der Regionalexpress rollt eben doch recht flott. Im Handykamera-Livestream erklärten die Weitgereisten, ihr Experiment habe bewiesen, dass es nach Schönefeld nicht länger dauere. Zumal die Züge irgendwann direkt unter dem Check-in des BER halten. Auch sollten in Tegel 9.000 Wohnungen und viele Arbeitsplätze entstehen, weshalb am 24. 09. mit „Nein“ zu stimmen sei.
Sind wir jetzt klüger? Bedingt. Denn natürlich gibt es in Berlin so viele unterschiedliche Anfahrtszeiten wie potenzielle Startpunkte. Die Auswahl war willkürlich. Immerhin verkniffen es sich die PolitikerInnen, eine für Tegel möglichst ungünstige Verbindung herauszupicken. Wer einmal in Ruhe den Stadtplan studiert hat, weiß ohnehin: Der BER liegt gar nicht jottwede – Menschen in Ludwigsfelde oder Mahlow wären wohl froh, er täte es. Aus vielen östlichen Stadtteilen ist der künftige BER eindeutig besser erreichbar.
Aber es ist ja auch mal nett, seine VolksvertreterInnen im Livestream durch die Stadt zu begleiten, zu sehen, dass es echte Menschen sind, die sich da in öffentliche Verkehrsmittel drängeln. Fast schon gemein, dass die FollowerInnen mit Likes geizten. Mehr Dramatik als „Stehen an der Beusselstraße und warten auf den Bus. Ob er pünktlich ist?“ geht ja wohl kaum.
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