schwabinger krawall: auf der falschen wiesn von MICHAEL SAILER
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Das sei ein Riesenbetrug, hat der Mann mit dem norddeutschen Akzent zu Herrn Kellermann gesagt, und er lasse sich das nicht bieten. Herr Kellermann, der nichts weiter wollte, als in Ruhe sein fünftes Feierabendbier zu Ende zu trinken und sich ein sechstes und letztes zu bestellen, hat gegrummelt, er könne ihm den Buckel herunterrutschen. Es handle sich, hat der Mann gesagt, bei diesem Oktoberfest nicht einmal um ein Fest, geschweige denn Volksfest, und das mit dem „größten der Welt“ sei überhaupt der Gipfel. Herr Kellermann hat einen großen Schluck von seinem Bier genommen und ein neues bestellt.

Wenn ihm das Oktoberfest nicht passe, war von der Schafkopfrunde der Altstudenten zu hören, müsse er ja nicht hingehen, das sei sowieso bloß ein Konsumspektakel für manipulierte Volltrottel. Sie sollten nicht seine Gäste beleidigen, hat der Wirt gesagt. Ein Herr im Trachtenjanker hat „Genau!“ gebrüllt und dass das Pack grundsätzlich eine Ruhe zu geben habe, wenn es schon nicht arbeite.

Er sei, hat der norddeutsche Mann deklamiert, nun aber einmal hier, und da müsse er den Tatsachen ins Auge blicken. Die Studenten haben geklatscht, und Herr Kellermann hat sich doch noch ein siebtes Bier bestellt. Was dem Herrn denn in Gottes Namen nicht passe, hat er gefragt. An Gottes Namen, hat der Herr gesagt, sei nichts zu beanstanden, aber von einem weltberühmten angeblichen Volksfest könne man wohl mehr erwarten als das. Er solle Gott da heraushalten, hat der Trachtenjanker gebrüllt, und der am Ecktisch vor seiner Zeitung sitzende Herr Hammler hat hinzugefügt, er wisse wohl nicht, wo er sei. Das wisse er wohl, hat der Norddeutsche getönt, und Gott sei ihm egal. Das gehe zu weit, war die mehrkehlige Antwort. Man hat den Gotteslästerer gepackt und stante pede an die Luft gesetzt. Der aber hat weitergebrüllt, er verlange seine sofortige Entsetzung nach Hannover, weil in dieser Stadt offensichtlich alle wahnsinnig seien. Zudem sei er rechtmäßiger Inhaber eines Getränks, das man ihm nicht entziehen dürfe. Der Trachtenjanker ist hinausgegangen, hat dem Zugereisten unter großem Beifall sein Bier über den Kopf gegossen, und dann ist die Polizei eingetroffen, weil der Aufruhr gar zu laut geworden ist.

Zur Polizei hat der norddeutsche Herr gesagt, er habe endgültig die Schnauze voll von diesem lächerlichen Oktoberfest und werde den Schwindel öffentlich machen, nebst einer umfassenden Beschreibung, wie man dort mit ihm umgesprungen sei, von wegen Gastfreundschaft. Da ist dem Wirt ein Geistesblitz gekommen: Der Herr wähne sich doch nicht etwa auf dem Oktoberfest und halte den Grünstreifen der Theresienstraße für die gleichnamige Wiese? Das tue er durchaus, hat der Mann verdutzt entgegnet. Da hat die ganze Besatzung des „Theresienstüberls“ mitsamt den Polizisten und endlich auch dem Fremdgast ausgiebig gelacht, weil man so etwas ja noch nie erlebt habe. Der Wirt hat eine Lokalrunde spendiert, und Herr Hammler hat den Norddeutschen gefragt, ob er eventuell irgendwelche japanischen Vorfahren habe, und hernach zugesagt, ihn am nächsten Tag auf die richtige Oktoberwiese zu begleiten, wo er ihm diesbezüglich einiges zeigen könne.