: Elite versus Bauern
Türkei Eine Doku von und über den Journalisten Can Dündar zeigt undifferenzierte Thesen
Dielen, Perserteppich, hohe Decken. Vor dem Fenster ein schlichter Schreibtisch, davor ein Mann am Laptop: Can Dündar, der mit seiner Frau in der Türkei skypt. Sie erzählt von einer Hausdurchsuchung der Polizei. Der Schreibtisch, auf dem sich Dündars Bücher und Unterlagen stapelten, sei nun leer. „Das macht mich traurig“, sagt Dilek Dündar.
Die Szene stammt aus der Doku „Exil Deutschland – Abschied von der Türkei“ (Dienstag, 21.15 Uhr, Arte), ein Film von Katja Deiß und Can Dündar über Can Dündar und anderen Exilanten aus der Türkei. Er zeichnet exemplarisch den Weg von einigen Menschen nach, die aufgrund politischer Repression und Gewaltandrohungen ihre Heimat verlassen mussten. Besonders nachdenklich stimmt die Aussage „Nicht wir haben die Türkei verlassen, die Türkei hat uns verlassen“.
Dündars Geschichte ist der rote Faden im 52-minütigen Film. Bevor der ehemalige Chefredakteur der Cumhuriyet 2016 nach Berlin flüchtete, war er mit seinem Kollegen Erdem Gül wegen Spionage und vermeintlichen Verrats von Staatsgeheimnissen angeklagt. Das türkische Verfassungsgericht sprach sie frei, doch Erdoğan akzeptierte das Urteil nicht. Dündar kehrte von einer Europareise nicht zurück.
Längst schaffen es nicht mehr alle Verfolgten aus der Türkei, und wenn doch, dann meist unter abenteuerlichen Umständen. Vor allem seit dem Putschversuch, der sich in wenigen Tagen jährt, werden Oppositionelle mit strikten Ausreiseverboten belegt. So verließ die Soziologin Latife Akyüz, eine weitere Protagonistin, auf geheimen Fluchtwegen die Türkei. Sie hatte die Petition „Academics for Peace“ unterschrieben und wurde zur Zielscheibe einer öffentlichen Hetzkampagne. Heute lebt sie in Frankfurt und ist mit einem Forschungsstipendium für die nächsten zwei Jahre abgesichert. Was danach kommt, ist ungewiss. Menschen, die aktiv ihr Heimatland mitgestalten wollten und es nicht mehr dürfen. Eine der Grundthesen des Filmes: Die türkischen Exilanten sind eine neue Form von Geflüchteten. Anders als in den 1960er Jahren, als nur „Bauern und Arbeiter“ nach Deutschland migrierten, käme heute die geistige Elite der Türkei, so Dündar. Die Bauern und Arbeiter jedoch, respektive deren Nachkommen, stützten dagegen geschlossen den Despoten, der Dündar und andere verfolgt.
In der Tat kamen mit dem Anwerbeabkommen mehrheitlich wenig bis gar nicht gebildete Menschen nach Deutschland. Aber auch sie verließen nur vermeintlich freiwillig das Land, das ihnen keine Perspektive bot. Aber das ist nicht das Thema. Wichtiger ist, dass Deutschland auch früher schon türkischen Intellektuellen in der Folge der Militärputsche von 1960 und 1980 eine Heimat bot. Eine differenzierte Geschichtsreview ist nicht die Aufgabe eines Porträtfilms, schon gar nicht des Protagonisten. Trotzdem hinterlassen diese Thesen einen seltsamen Beigeschmack.
Schwierig ist auch die dualistische Einteilung der türkeistämmigen Bevölkerung in Erdoğan-Befürworter und -Gegner. Zumal der Film auch Protagonisten findet, so zum Beispiel drei Taxifahrer, die sich entschieden für eine demokratische Gesellschaft aussprechen.
Der Film ist ein wichtiger Beitrag, um die politische Situation in der Türkei stärker in die öffentliche Wahrnehmung zu rücken. Allerdings zeigt er nur den Blick durch ein Schlüsselloch auf ein Labyrinth von Ungerechtigkeiten. Es ist die Perspektive von wenigen Privilegierten, die in den Genuss der Gastfreundschaft der Bundesrepublik kommen. Und Justizminister Heiko Maas darf sich als Verfechter der Meinungs- und Pressefreiheit präsentieren. Canset İçpınar
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