: 18 Sekunden Hall
RAUMKLANG Wenn ein Schlag auf die Snare einem Gewitter gleicht: „bohemian drips. presents: Speicher“, das Festival für experimentelle Musik, entdeckt den Klang der hundert Jahre alten Wasserspeicher in Pankow
von Lorina Speder
Der Wasserspeicher, dessen Eingang an der Belforter Straße in Prenzlauer Berg liegt, beeindruckt: Vor 100 Jahren wurde hier Wasser für den Kollwitzkiez gelagert. Das Areal mit dem markanten Wasserturm gehört zum Wahrzeichen des Ortsteils Pankow. Heute kann man die zwei dazugehörigen Speicher nur betreten, wenn man an den regelmäßigen Führungen teilnimmt oder sie für künstlerische Projekte nutzt.
Die abgerundeten Tunnel im großen Speicher reagieren ohne Wasser ganz besonders auf die Akustik. Bis zu 18 Sekunden hallen die Worte und Laute nach, die man in dem kalten Raum von sich gibt. Die Umgebung ist perfekt für Soundexperimente, die Klänge wandern an den Mauern des Speichers entlang. Die Echos klingen an jedem Punkt des Raums anders.
Das Potenzial erkannte das Berliner Künstlerkollektiv und Label Bohemian Drips und organisierte für kommenden Samstag und Sonntag zwei Konzertabende in den Wasserspeichern. Je Abend von „bohemian drips. presents: Speicher“ füllen drei verschiedene Projekte die Mauern mit Klang. Die meisten Musiker im Line-up sind schon lange im Geschäft.
Am Samstag und Sonntag findet im alten Wasserspeicher Prenzlauer Berg das Sound- und Klangfestival „bohemian drips. presents: Speicher“ statt. Es geht an beiden Tagen um 17 Uhr los, der Eingang ist an der Belforter Straße. Es treten auf: Richard Scott & Axel Dörner, DuChamp, BBBT, Kulku, Arnold Dreyblatt und I T O E. Ein Tagesticket kostet 12 Euro, ein Festivalticket 20 Euro. Mehr Infos unter: bohemiandrips.de
Präparierter Kontrabass
Arnold Dreyblatt ist zum Beispiel nicht nur in der Minimal-Music-Szene bekannt – der Künstler und Performer aus New York stellte schon im Berliner Museum für Gegenwart, dem Hamburger Bahnhof aus. Inzwischen ist er Professor für Medienkunst an der Muthesius Kunsthochschule in Kiel. Er führte bereits Klanginstallationen im kleinen Wasserspeicher auf und wird am Wochenende mit einem präparierten Kontrabass und Elektronik spielen.
Auch die Band Kulku kennt die Räumlichkeiten. Das Musikerkollektiv um Andreas Riska und seine Frau Johanna nahm 2015 in den beiden Wasserspeichern ihre Platte „BD006“ auf. Die Live-Aufnahmen sind von Bohemian Drips initiiert worden – das Label förderte schon zuvor Konzerte an ungewöhnlichen Orten, die experiemtelle Akustiken hervorrufen. Unter den fünf Liedern, die in den zwei Wasserspeichern aufgenommen wurden, fällt der Song „Filling Space with Hauted Dreams“ durch den Titel auf. Dieser sagt eigentlich schon aus, was die Zuschauer erwartet. Es gilt, die Räume mit Impressionen und Gefühlen zu füllen. Andreas Riska, der am 16. Juli unter anderem Saxofon spielt, erklärt, dass man in einer solchen Umgebung musikalisch ganz anders reagiert: „Wir haben nur die wenigen Stücke gewählt, die überhaupt in dem Raum funktionieren.“ Die klangen dann aber besonders gut – gerade weil der Raum den Sounds eine ganz besondere Atmosphäre schenke.
Die Säulen- und Gewölbestruktur des kleinen Speichers, in dem ein Hauptteil des Konzerts stattfindet, erscheint offener als die geschlossenen Kreisel des großen Speichers. Die Bühne befindet sich im zentralen Punkt des Raums. Hier sind Hall und Echo nicht so stark, mit knapp 6 Sekunden aber trotzdem außergewöhnlich. Deshalb spielen Kulku im kleinen Wasserspeicher auch mit großer Besetzung. Die sieben Musiker werden Instrumente wie ein Schlagzeug oder Xylophon mitbringen. Der zweiten Teil des Konzerts findet im großen Speicher statt. Dabei werden die Instrumente aber gewechselt: Ein Schlag auf die Snare würde fast einem Gewitter gleichen. Trommeln und laute Instrumente sind dort fehl am Platz. Riska erklärt, dass seine Band im großen Speicher ausschließlich mit Holzorgelpfeifen spielen wird. Die sieben Pfeifen waren einmal Bestandteil einer Kirchenorgel und werden von den einzelnen Mitgliedern gespielt. Ihre Töne sind aufeinander abgestimmt.
Auch Andreas Riska wirkte vor Kulku schon mit anderen Künstlern an einer Klanginstallation in den Räumen mit. Im Gespräch erinnert er sich an die neunziger Jahre: „Früher war der Raum einfach offen für alle. Da sind die Leute einfach rein mit ihren Saxofonen.“ Zu dieser Zeit kam der Musiker nach Berlin und schloss sich der experimentellen Klangbewegung und -szene an. Nach einer jugendlichen Rock-’n’-Roll-Phase wollte er auf die Geräusche der Stadt und auf die Natur eingehen. Damals begann er, Instrumente selber zu bauen, die Hintergrundgeräusche verstärken. Vor 20 Jahren hätte er in Schwimmbädern, runtergekommenen Bauten und eben auch dem Wasserspeicher mit Freunden der Szene einfach Musik machen können. „Berlin war damals eine echt gute Stadt für solche Sachen“, erzählt er. Heute würde der Platz, in dem sich Künstler und Musiker entfalten können, immer enger. Man merkt ihm an, dass er den schnellen Wandel bedauert. Verlassene Orte in Berlin zu bespielen, das ist heute nicht mehr so einfach. Umso besser, wenn es Organisatoren wie Bohemian Drips gibt, die dieses Gefühl von früher, wenn auch im Rahmen eines organisierten Konzerts, wieder aufleben lassen.
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