Kolumne Minority Report: Was ist dieses Links™?

Hamburg brennt. Social Media hyperventiliert. Polizei rüstet auf. In diesen sieben Kategorien lässt sich G20 aufarbeiten.

Zwei Menschen stehen auf einem Balkon, vor ihnen ein Schild, auf dem steht: Herr Scholz wir müssen reden

Ja reden wir mal – über die Linke Foto: dpa

Linksextremer Terror so schlimm wie Rechtsextreme und Islamisten.“ „Kleinwagen von Familien anzünden ist nicht links.“ Nach der Eskalation der Demos gegen den G20-Gipfel in Hamburg interessieren sich gefühlt alle Social-Media-Nutzer*innen nur noch für eine Frage: Was ist links™? Ich dachte: Story of my life. Also habe ich mir mal die Kategorien der G20-Aufarbeitung angesehen.

1. Vergleiche: Gezi, Syrienkrieg, NSU-Morde … Kein abstruser Vergleich wird gescheut, um mit den brennenden Autos von Hamburg Faschismus zu relativieren. Und somit den Linken™ zu sagen: Ihr seid auch nicht besser als eure Feindbilder. Oder, wie beim Fall Gezi, andersherum, einen Faschismus-Contest auszurufen: Manche Linke™ meinen nämlich, deutsche Bullen seien die neuen türkischen Bullen. Tote gegeneinander aufrechnen ist zwar billo, aber an dieser Stelle sei mal kurz erwähnt …

2. Zahlen: … dass die Polizeigewalt bei Gezi 10, die NSU-Morde 9 und der Syrienkrieg rund 500.000 Menschenleben gekostet haben. Bei den G20-Demos wurden, so weit ich weiß, ein paar Nasen gebrochen. „Aber das ist natürlich auch nicht okay!“, muss ich sagen, denn …

3. Distanzierung: … es erinnert ein bisschen an die Forderungen gegenüber der muslimischen Gemeinde, jedes Mal, wenn ein Attentäter „Allahu Akbar“ ruft (okay, ganz ohne Vergleiche geht es dann doch nicht). Die Linke™ muss sich eifrig vom schwarzen Block distanzieren, um ihre Kredibilität zu wahren. Dabei sollte allen klar sein, dass ein paar der Autos, die in der Schanze verkohlen, höchstwahrscheinlich auch Personen gehören, die sich ebenfalls als links™ begreifen, aber die …

4. Sachschaden: … FAZ-Lese­r*innen unter ihnen wissen spätestens seit dem „Wer zahlt bei Vandalismus?“-Artikel, dass Haftpflichtversicherungen für Vandalismusschäden nicht aufkommen, Teil- und Vollkaskoversicherungen hingegen schon. Einige Hamburger*innen dürfen sich nun also auf ein brandneues Auto freuen. Allerdings steigen ihre Beiträge im nächsten Jahr. Sie ahnen es …

5. Profit: … vom Krawall profitieren nun Fahrzeughersteller und Versicherungen. Keine Agentur der Welt hätte sich eine bessere Imagekampagne für Versicherungen ausdenken können. Klar, der Kapitalismus ist gerade deshalb so böse, weil man sich ihm nicht entziehen kann. Aber beim Plündern von Apple-Retailern und Rewe-Filialen (die auch versichert sind), geht es ja eher darum …

6. Symbole: … ein einmaliges Zeichen gegen die Konzentration von Kapital zu setzen. Einmalig, weil die Vandalisten™ spätestens übermorgen zu Rewe gehen müssen, wenn sie nicht verhungern wollen. Und aufs iPhone schauen müssen …

7. Zwickmühle: … um die Ereignisse rund um G20 zu verfolgen, so wie ich. Ich war zufällig in Paris, als Hamburg brannte. Doch wenn ich vom Handy aufblickte, sah auch ich militarisierte Polizei, Maschinengewehre und frage mich nun, ob nicht die Verhinderung ebendieser Aufrüstung im öffentlichen Raum eine gemeinsame Forderung der Linken™ sein könnte und wie förderlich enthemmter Krawall für dieses Anliegen eigentlich ist?

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ehem. Redakteurin im Ressort taz2/Medien. Autorin der Romane "Ellbogen" (Hanser, 2017) und "Dschinns" (Hanser, 2022). Mitherausgeberin der Literaturzeitschrift "Delfi" und des Essaybands "Eure Heimat ist unser Albtraum" (Ullstein, 2019).

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