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Einer, der es scheinbar nicht verdient hat

Ehrung Ministerpräsident Kretschmann verleiht Orden lieber an Promis als an Jürgen Grässlin

Pädagoge, Pazifist und Aktivist Jürgen Grässlin Foto: privat

STUTTGART taz | „Wer der Ansicht ist, dass Bürger nur bei Wahlen etwas verändern können, der täuscht sich“, sagte Winfried Kretschmann 2016, als er den Verdienstorden des Landes Baden-Württemberg vorstellte. Seitdem sind viele engagierte Bürger und manche Prominente vom grünen Ministerpräsidenten oder von seinem Staatsminister Klaus-Peter Murawski dekoriert worden. Etwa der Moderator Frank Elstner („hat mit seinen Fernsehformaten auf die Politik ausgestrahlt“), Fußballer Cacau, Tatort-Kommissar Richie Müller („sympathischer Markenbotschafter“) oder die sozial engagierte Milliardärsgattin Carmen Würth (Lebensmotto: „Mit dem Herzen sehen“).

Doch bei einem tut sich das Staatsministerium schwer: Ausgerechnet bei „Deutschlands bekanntestem Rüstungsgegner“ (Zeit) und Friedensaktivisten Jürgen Grässlin. Seit vielen Jahren engagiert sich der Realschullehrer aus Freiburg gegen deutsche Waffenexporte. Er hat das Rüstungsinformationsbüro gegründet und diverse Bücher zum Thema geschrieben. Zudem hat er so erfolgreiche wie kritische Biografien über die Automobilmanager Jürgen Schrempp und Ferdinand Piëch verfasst.

Zwar hat Grässlin für sein Engagement inzwischen den Aachener und den Stuttgarter Friedenspreis, eine Ehrendoktorwürde und den Grimme-Preis gewonnen. Für einen Landesverdienstorden oder das Bundesverdienstkreuz reicht es allerdings nicht. Der Vorschlag von Bürgerseite, ihn auszuzeichnen, wurde vom Stuttgarter Staatsministerium jüngst abgelehnt. Die Voraussetzungen seien nicht gegeben.

Warum das ehemalige Grünen-Mitglied Grässlin nach Ansicht seiner früheren Parteifreunde für solche Auszeichnungen nicht in Frage kommt, erfuhr die Stuttgarter Zeitung auf Nachfrage. Es spiele der „Aspekt der öffentlichen Akzeptanz eine Rolle“, heißt es da. Die Verleihung solle weder Konflikte in die Gesellschaft hineintragen noch Konflikte vertiefen.

Mag allerdings sein, dass eine Auszeichnung bei einem der wichtigsten Arbeitgeber des Landes nicht gut angekommen wäre. So hat Grässlin Daimler-Chef Dieter Zetsche, Gastredner auf dem vorletzten Grünen-Parteitag, wegen Falschaussage verklagt und außerdem 2005 ein Buch mit dem Titel „Das Daimler-Desaster“ veröffentlicht. Ansonsten kann sich der Friedensaktivist aber über mangelnde Akzeptanz nicht beklagen. Im Juli wird Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) mit Grässlin auf einem Podium diskutieren.

Das Staatsministerium begründet seine Ablehnung auch mit dem laufenden Gerichtsverfahren, das aufgrund von Recherchen von Grässlin gegen ehemalige Mitarbeiter von Heckler und Koch läuft. Kretschmanns Haus müsse „den Anschein einer Einflussnahme auf ein laufendes Gerichtsverfahren vermeiden“. Tatsächlich hatte der Freiburger Friedensaktivist mit seinen Recherchen für ein Buch und einen Film über mutmaßlich illegale Lieferungen von Sturmgewehren nach Mexiko für Aufsehen gesorgt. Inzwischen hat die Große Wirtschaftsstrafkammer in Stuttgart das Verfahren gegen zwei ehemalige H&K-Geschäftsführer sowie fünf Mitarbeiter eröffnet. Der Beginn der Hauptverhandlung ist laut Gericht derzeit nicht absehbar. Das gleiche gilt wohl auch für die staatliche Anerkennung von Jürgen Grässlins Engagements. Benno Stieber

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