: Viel Raum zum Mitgestalten
Stadtteilfest Die Theater-Altonale beschäftigt sich dieses Jahr mit dem Verhältnis von Räumen und Gemeinschaften, unter anderem in einem leer stehenden Baumarkt und im fiktiven Theater-Dorf „Maidorf“
von Katrin Ullmann
Sie versprechen eine kompetente Beratung, bieten einen Holzzuschnitt und einen Farbmischservice und natürlich alles, was das Heimwerker*innenherz begehrt. Wer in den Baumarkt geht, hat ein neues Projekt im Sinn, sucht einen ganz bestimmten Dichtungsring oder will es sich sonstwie heimwerkelnd gemütlich machen.
„Wer in den Baumarkt geht, kauft etwas für zu Hause, aber ist dort ja nicht zu Hause“, so bringt es Tania Lauenburg auf den Punkt. Passend also, dass die Leiterin der Theater-Altonale für das Projekt „(Not) at Home“ vier leer stehende Hallen eines ehemaligen Baumarkts in der Bahrenfelder Ruhrstraße als Veranstaltungsort gewinnen konnte. Noch bis zum kommenden Samstag findet dort ein breit gefächertes Programm rund um die Ambivalenz von Zuhausesein und Nicht-Zuhausesein statt – von bildender Kunst über Literatur und Film bis hin zu Tanz und Theater. Der Eintritt ist, wie beim Baumarkt üblich, frei.
Die Theatergruppe des Projekts „JuMBO“ (kurz für: „Jugend und Migration – Beruf und Orientierung“) des Beschäftigungsträgers Mook Wat etwa probt dort mit Regisseur Evgeni Meteschkin das Drama „Nachtasyl“. Ausgestoßen aus dem bürgerlichen Leben, müssen die Figuren in Maxim Gorkis Stück ihr Dasein an der Grenze zur Menschenwürde fristen. Und wenn die Mitwirkenden von „JuMBO“ – 20 jugendliche Langzeitarbeitslose – den Klassiker auf die improvisierte Bühne bringen, verwischen die Grenzen zwischen den fiktionale Szenen aus dem frühen 20. Jahrhundert mit der alltäglichen und manchmal ähnlich bitteren Gegenwart. Denn an diesem Abend begegnen, wie es in der Ankündigung heißt, „ausrangierte Arbeitskräfte einer ausrangierten Baumarkthalle“.
Künstler aus den Atelierhäusern Achterhaus und der Kunst- und Kulturverein 2025 bespielen die Hallen ebenfalls mit ganz unterschiedlichsten Arbeiten von Illustration und Skulptur über Performance bis Malerei.
Am Mittwoch dieser Woche wird um 20 Uhr in Halle 3 außerdem der belgisch-französische Film „Home“ zu sehen sein. Der kuriose Spielfilm von Ursula Meier erzählt, wie eine Familie, die direkt an einer stillgelegten Autobahn wohnt, ein recht ungewöhnliches Leben führt – indem sie sich genau diesen Autobahnraum zunutze macht: als Freizeitort, zum Grillen, Sonnenbaden, Tischtennis- und Federballspielen.
Der Schriftsteller und Geschichtensammler Oliver Lück schließlich wird in den derzeit ungenutzten Hallen aus seinem Buch „Neues vom Nachbarn – 26 Länder, 26 Menschen“ lesen. Es enthält Geschichten, Anekdoten, Porträts und Reportagen, die Lück während einer Reise mit Bus und Hund quer durch Europa aufgeschrieben hat.
In das dankbare Thema „Raum“, das die diesjährige Ausgabe der Altonale überschreibt, fügt sich auch die Inszenierung „Maidorf“ von Franz von Strolchen. In einer Langzeitrecherche hat sich der österreichische Regisseur mit den Strukturen von Dörfern und kleinen Orten auseinandergesetzt und mit den Verhältnis zwischen Individuum und Gesellschaft, zwischen Gemeinschaft und Ausgrenzung.
„Maidorf“, der zweite Teil einer Trilogie übers Zusammenleben, wird als Gastspiel und Koproduktion mit dem Bahrenfelder Lichthof-Theater in einem ehemaligen Straßenbahndepot zu sehen sein, in dem sich heute die Anlieferungshallen des Rewe-Centers in der Max-Brauer-Allee 59 befinden. Eine fiktive Dorfchronik erzählt darin stellvertretend die Geschichte irgendeines europäischen Dorfes. Während der Aufführungen am heutigen Samstag um 14 und 20 Uhr wohnen die Zuschauer*innen dem Entstehungssprozess eines fünf Meter großen Objekts bei – eine Hütte, ein Hut, ein Ufo? – das anschließend hinausgetragen wird, einmal an den Spritzenplatz, das andere Mal an den Platz der Republik.
„Wir bitten die Zuschauer auf die Bühne und tragen mit ihnen gemeinsam dieses ,Monument eines Außenseiters', wie es in der Dorfchronik einmal genannt wird, hinaus in die Öffentlichkeit“, erklärt Franz von Strolchen. „Ein Raum wird durch die Stadt getragen“, fasst Lauenburg zusammen.
Neue Räume für das Theater zu entdecken und zu entwickeln, das hat bei der Theater-Altonale gute Tradition. Schon zum sechsten Mal werden private Balkone oder Hinterhöfe in der Nachbarschaftsperformance „Altona macht auf!“ zur Bühne. Das Projekt, das alle Altonaer*innen einlädt, sich via Kultur ganz direkt und selbstbestimmt an der Diskussion zu beteiligen, wie sie in ihrem Stadtteil wohnen und leben möchten, wurde gerade mit dem Hamburger Stadtteilkulturpreis ausgezeichnet.
Was genau sich auf den jeweiligen Balkonen dabei abspielt, ist selbst für die Initiator*innen jedes Jahr eine Überraschung. Ein wenig Nachbarschaftshilfe braucht es da schon, wenn man den Überbrlick nicht verlieren will: Fünf verschiedene Touren führen zu Projekten mit Titeln wie „Ehre der Biene – eine Bienenrevue“ von Andi X, zur Balkon-Protestaktion „Artgerechte Haltung nicht nur für Hühner“ oder zum Biografie-Austausch von Geflüchteten mit Schülern des Gymnasiums Allee in der Erdmannstraße.
Theater-Altonale: bis So, 2. 7., Infros und Programm: www.altonale.de/altonale/kultur/theater/
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