Singing in the Rain

KonzertMit dem nötigen Wumms: Depeche Mode rockten derart das Olympiastadion, dass auch mächtiges Gewittergrollen und der Regen die Fans nicht schrecken konnte

Bitte schön, Popgeschichte: Depeche-Mode-Sänger Dave Gahan am Donnerstag im Olympiastadion Foto: Ben Kriemann/POP-EYE

von René Hamann

Da waren sie wieder, alive and kicking: Depeche Mode gaben ihr x-tes Berlinkonzert an diesem denkwürdig gewittrigen Tag kurz nach der Sommersonnenwende, und auch wenn irgendwann der schwere Regen einsetzte, eins lässt sich nach diesem Ereignis im Olympiastadion sagen: Sie haben die Bude gerockt.

Dabei hätte man genauso annehmen können, dass die Herren aus England nicht mehr die vitalsten wären und in Sound und Vision so saturiert, dass ein Stadion den Rolling Stones meiner Generation schon den letzten Halt geben muss. Die Band operiert seit ungefähr „Songs of Faith and Devotion“ (1993!) am Limit ihrer Innovationskünste; die wesentlichen Geschichten waren allmählich auserzählt: Die depressiven Millionäre retteten sich in Gospel, Blues und Ehegelübden; die Geschichten, die sie erzählten, blieben schmutzig, waren aber zunehmend in Soundgerüste gekleidet, die auch mit der Innenarchitektur der Deutschen Bahn konform gingen. Nach und nach setzte die späte Retrospektive aufs eigene Werk ein („Delta Machine“, 2013), während die Sounds immer klöppelhafter und zunehmend von Donnerwetterbeats getragen wurden.

So schien auch die Geschichte der neuen Platte „Spirit“ ein wenig ausgedacht: Privilegierte Wahlkalifornier erzählen was von Revolution, dabei hatten sie das entscheidende Werk zum Thema doch bereits in den Achtzigerjahren veröffentlicht („Some Great Reward“, 1984). Auf der anschließenden Welttour, die hier in Berlin also am Donnerstag ihr Gastspiel in der Leni-Riefenstahl-Gedächtnisschüssel namens Olympiastadion hatte, war eher gediegenes Verwalten und hüftsteifes Erinnern an glanzvolle Zeiten zu erwarten – doch Dave Gahan, Martin L. Gore und Andrew Fletcher, alle 55, und ihre erprobten Livemitstreiter an Schlagzeug (Bassdrum mit Peace-Zeichen!) und Synthie zeigten dem ausverkauften Haus und dem Wettergott, der ebenso alles auffuhr, was er hatte, was eine Harke ist.

Begann das Konzert nämlich gegen 21 Uhr noch einigermaßen schleppend mit den dann doch überraschend guten neuen Stücken – von „Going Backwards“ über das klassisch anmutende „So Much Love“ bis zur auf Konserve schwach wirkenden, live aber mit dem nötigen Wumms ausgestatteten Motto-Single „Where’s the Revolution“ – fand der gute, ausgewogene Mix mit alten Gassenhauern und einer schön verruchten und prima androgyn-ekstatischen Performance gerade von Gahan und Gore sehr schnell einen überaus euphorisierenden Dreh. Wie bereits gesagt: Sie rockten die Bude.

Mit „Wrong“ begann es denn auch, wie aus Kübeln zu schütten, während sich die Lightshow mit den Blitzen erst der Handys, dann des Himmels einen munteren Wettbewerb lieferten. Doch wie einst Michael Schumacher drehte die Band in dieser Phase erst so richtig auf: keine Reifenwechsel, keine Gefangenen, die alten Hits wirkten generalüberholt und frischer als alles, was an männlichem Elektropop in den letzten zehn Jahren noch so den Markt verstopfte. Und sie hatten die Massen auf ihrer Seite. Egal, ob die im Dauerregen standen oder eigentlich eher die Videoleinwände bestaunten, da sie von der Bühne zu weit weg waren (dafür umso näher zu den Dixieklos).

Ja, es schüttete, kübelte, regnete Katzen und Hunde, es goss wie aus Eimern, während Zeus wie irre mit Blitzen warf, aber Depeche Mode waren die Halbgötter, die einen unfassbaren Hit nach dem anderen abfeuerten. Popgeschichte, komprimiert auf zwei Stunden. Ein unglaubliches Songwritertum, drei alte Männer, die auch live etwas von Sound und Musik verstehen, und ein zutätowierter deutscher Schlagzeuger, der noch in zehn Jahren alle Rammstein-Fans unruhig schlafen lassen wird. Es war riesig.