: Aug' in Aug‘ mit Tom Cruise
KINOMAGAZIN In Hannover produziert Videojournalist Tim Fischer das Film-Videoblog „Spätvorstellung“. Zu sehen sind die launigen Beiträge auf YouTube und Facebook
aus Hannover Wilfried Hippen
Nein, auch Tom Cruise hat für Tim Fischer den Actionfilm „Die Mumie“ nicht übers Mittelmaß heben können. Der Film war für ihn „wie vom Reißbrett“ und Cruise hat darin zwar „solide gespielt, aber schauspielerisch keine Akzente gesetzt.“ Dabei hätte der bei ihm doch eigentlich einen Stein im Brett. Vor einem Jahr hat Fischer ihm Aug’in Aug’gegenüber gestanden, am roten Teppich in Berlin zur Premiere des Actionfilms „Jack Reacher: Kein Weg zurück“. Und Cruise hatte dem Hannoveraner damals auf seine Fragen erstaunlich ausführlich geantwortet, die Fischer für sein Online-Magazin „Spätvorstellung“ stellte.
Die Reise von Hannover nach Berlin hatte sich also für Fischer und seine Ko-Moderatorin Johanna Stein gelohnt, auch wenn sie die Fahrtkosten selber bezahlt haben: Ihr Filmmagazin produzieren sie ohne Sponsoren – wenn man mal von den Hannoveraner Kinos „Astor Grand Cinema“ und „Cinemaxx“ absieht, in denen sie freien Eintritt haben und in deren Foyers sie ihre Aufnahmen machen – jeweils direkt, nachdem sie die Filme gesehen haben.
Diese etwa fünf Minuten langen Sendungen werden erstaunlich schnell und effizient produziert. „Die Mumie“ zum Beispiel haben die beiden am vergangenen Donnerstag in der ersten Nachmittagsvorstellung zusammen angesehen. Unmittelbar danach hat es eine kurze Absprache gegeben, und schon setzt sich das Paar in seine Sessel im Foyer auf der obersten Etage des „Astor Grand Cinema“ vor eine auf dem Stativ aufgebaute Kamera.
Fischer betätigt noch selbst den Aufnahmeknopf – und schon beginnt das Kritikergespräch der beiden. Der erste Versuch erweist sich dabei als so gut, dass keine Wiederholung nötig ist: Kleine Versprecher wirken schließlich nur sympathisch.
Anschließend wird noch Johanna Stein mit Toilettenpapier eingewickelt, denn jede „Spätvorstellung“ endet mit einem kleinen, zum Film passenden Witz. Und diesmal öffnet Tim Fischer halt die Tür zu einem der Kinosäle und läuft erschreckt davon, weil Stein als Mumie auf ihn zu wankt.
In Hamburg, Berlin oder München könnten Fischer und seine Partnerin – Johanna Stein wechselt sich dabei mit Sylvia Brouwer und Greta Clasen ab – die Filme jeweils lange vorher in den Pressevorführungen sehen und ihre Sendung dann schon am Mittwoch vor dem Kinostart ins Netz stellen. Aber in Hannover ticken die Uhren anders. Deshalb hat der Titel „Spätvorstellung“ auch eine doppelte Bedeutung. Zugleich ist Fischer bei der Postproduktion so schnell und routiniert, dass er die Sendung manchmal schon in der nächsten Nacht, spätestens aber am Freitag Nachmittag bei YouTube hochladen kann.
Die Beiträge sind dabei immer nach dem gleichen Muster aufgebaut: Zuerst gibt es Ausschnitte aus den Trailern, zu denen Fischer eine kurze Inhaltsangabe einspricht. Dann das Kritiker-Gespräch, das in den Kinos immer an der gleichen Stelle und mit der gleichen Kameraeinstellung aufgenommen wird. Es folgt die Bewertung auf einer Skala mit zehn Punkten (wobei „Die Mumie“ mit fünf und fünfeinhalb Punkten doch noch erstaunlich milde beurteilt wird) und schließlich der Schlussgag.
Vorgestellt und beurteilt werden Mainstreamfilme, die in den Multiplexen laufen – Arthousefilme haben nur dann eine Chance, wenn sie, wie in diesem Frühjahr „Manchester by the Sea“, für den Oscar nominiert wurden. Die einzelnen Beiträge haben durchschnittlich um die 500 Aufrufe bei YouTube. Fischer und seine jeweilige Partnerin produzieren sie handwerklich solide und mit spürbarem Spaß.
Das Magazin gibt es seit neun Jahren. Entwickelt wurde es von Fischer und seinem ersten Partner Kim Bierbrauer, der 2011 aus beruflichen Gründen aufhören musste. Inzwischen wurden 454 Beiträge ins Netz gestellt. Der erfolgreichste Beitrag war der Bericht von der Premiere des Kinderfilms „Bibi & Tina – Tohuwabohu total“, mit über 11.000 Aufrufen.
Solche Sendungen „vom roten Teppich“ werden auch sonst gerne gemacht und gesehen: Stein konnte beim Filmfest Oldenburg ein kurzes Interview mit Nicolas Cage machen und Fischer durfte Quentin Tarantino bei der Premiere von „Django Unchained“ in Berlin fragen, warum er Western mag.
Wobei das Jagdglück der zwei meist erfreulicher ist, als die vorgestanzten Antworten der Stars. Aber es gibt auch wirklich geglückte Aufnahmen, wie einen Auftritt von Nora Tschirner. Die bläst bei der Premiere von „Die Schlümpfe“ bei einem Gruß zu Ostern extra für die „Spätvorstellung“ ihre Backen auf, um ein Osterei zu verkörpern. Und Oliver Kalkofe ist inzwischen schon ein Stammgast, weil er scheinbar zu jeder Premiere kommt und Fischer immer gerne etwas ins Mikro sagt, vielleicht aus lokalpatriotischer Verbundenheit, schließlich begann er seine Karriere beim Radiosender FFN in Hannover.
Nicht ohne Witz sind auch die Ausgaben des Magazins, in denen Tim Fischer zusammen mit seinem Kollegen Christian Link „Wer ist beliebter?“ spielt. Dazu gehen sie mit den Fotos von zwei Filmstars durch die Fußgängerzone von Hannover und wetten gegeneinander, wen von den beiden die Passanten öfter erkennen. Der Verlierer muss dann, ebenfalls in der City, pantomimisch Filmtitel darstellen.
Fischer produziert auch Sonderausgaben, etwa eine Vorhersage der Preisträger kurz vor der Verleihung der Oscars oder Filmvorschauen zum Jahresbeginn. Dabei nimmt er sich nicht zu ernst, sondern hält stattdessen eine feine Balance zwischen Fan und Kritiker.
Ein wenig stolz ist er allerdings schon, wenn ihn manchmal Fremde auf der Straße ansprechen, die ihn auf YouTube gesehen und wiedererkannt haben. Doch das sei ihm gegönnt. Und ein paar Abonnenten mehr hätte er auch verdient.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen