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Und es bewegt sich doch

Kunst Die aktuelle Ausstellung der Julia Stoschek Collection entlehnt Alexander von Humboldt den Titel „Jaguars and electric eels“ und richtet mit Werken der zeitbasierten Medienkunst den Blick auf eine alternative Deutung von Anthropologie und Zoologie

VON Sophie Jung

Mäzene machen Kulturpolitik. Hasso Plattner eröffnete kürzlich in Potsdam sein eigenes Museum für klassische Moderne und finanzierte dafür auch das Gebäude, die Rekonstruktion eines Barockpalais. Anders Julia Stoschek. Sie zog mit ihrer Kunstsammlung in eine wenig beachtete DDR-Architektur. Durch ihre Privatmuseen schaffen einflussreiche Einzelpersonen mit ihren ästhetischen Vorlieben Tatsachen in Stadt und Kultur. Bei Julia Stoschek ist dies eng mit der Inszenierung ihrer Sammlerpersona verknüpft. So tauchen im Pressebereich ihrer Website zunächst Porträts der jungen, hübschen Kunstfreundin auf, ehe die Ausstellungsansichten folgen. Das Vordrängen ihrer Person wird man ihr jedoch verzeihen, macht sie eben wirklich gute Ausstellungen. Dabei setzt sie mit ihrem Kuratorenteam auf ein anspruchsvolles Medium: Videokunst, oder korrekter: zeitbasierte Medienkunst.

„Jaguars and Electric Eels“ heißt die aktuelle Schau in Berlin. Mit einer kuratorischen Eigenwilligkeit, die in öffentlichen Häusern selten zu sehen ist, wurde regelrecht ein szenisches Spiel mit dem bewegten Bild durch die Räumlichkeiten des ehemaligen tschechoslowakischen Kulturinstituts organisiert. Es führt über eine große Wendeltreppe in Repräsentationssäle und durch schmale Gänge in abgelegene Kammern, stets von einer erhaltenen DDR-Patina und einem über drei Etagen gewellten Vorhang dekorativ begleitet. Jede Videoarbeit erhält ihren ganz eigenen Ort, vom intimen Wohnzimmer mit Röhrenbildschirm bis zum Filmtheatersaal. Auch gegen die Sehgewohnheiten werden Videos gezeigt: scheinbar zufällig in die Ecke eines Heizungskellers projiziert oder hochkant als gebeamtes Gemälde arrangiert.

Bewegt als Kinofilm oder erstarrt als Tableau – die genreüberschreitende Präsentation der insgesamt 40 Arbeiten setzt formal und sinnlich den Rahmen für das inhaltliche Konzept der Ausstellung. Denn, was Namen wie Annicka Yi, Ana Mendieta oder Martin Honert miteinander verbinden soll, lässt sich auf die zwei Pole Bewegung und Nichtbewegung herunterbrechen. Zentral ist wohl Bill Violas „The Reflecting Pool“ von 1977–79. Die siebeneinhalb Minuten, die als Meilenstein der Videokunst gelten, zeigen in VHS-typischer Unschärfe und hinter Magnetbandflimmern nicht viel mehr als einen vermoosten Pool. Während das grünliche Nass kleine Wellen schlägt und die Vögel im Hintergrund zwitschern, hängt ein nackter Mann, im Sprung eingefroren, über der Wasseroberfläche. Die Zeit läuft im Detail weiter, die Hauptfigur aber hat Viola erstarren lassen. Mit einer damals revolutionären, computerbasierten Schnitttechnik überblendet der Künstler Fortschreiten und Stillstand zu einem künstlichen Bildraum.

Mit ähnlich einfachen Mitteln arbeitet 25 Jahre später die US-Amerikanerin Trisha Donnelly in einer ihrer Videoarbeiten und rückt dabei von der Künstlichkeit des Bildes zur Künstlichkeit des Bildgegen­stands vor. Wenig passiert in dem unbetitelten Video von 2005: Eine Wildkatze, der Unterkiefer angriffslustig geöffnet, starrt in die Kamera. Das Bild steht, nur über ein kurzes Flimmern ruft Donnelly wach, dass es sich eigentlich bewegen könnte. Während der zwei Minuten im Loop fragt man sich, ob es die gefilmte Fotografie ist, die den Blick des Tiers so leblos erscheinen lässt, oder ob es sich um die Filmaufnahme einer bereits toten, ausgestopften Katze handelt, deren Aggression nur Inszenierung ist. Ein paradoxes Motiv rückt ins Bewusstsein: das erstarrte Lebewesen.

Denn das Tier ist das Hauptmotiv in der Schau. Es läuft, fliegt, bellt und faucht

Mit der Wildkatze ist der Lauf der Dinge in dieser Ausstellung angestoßen: Von Nichtbewegung über Bewegung bis zum lebendigen oder toten Tier. Denn das Tier ist das Hauptmotiv in der Schau. Es läuft, fliegt, bellt und faucht auf den zahlreichen großen und kleinen Bildschirmen im Berliner Stoschek-Haus, oder es regt sich wie bei Donnelly nicht mehr. Der Titel „Jaguars and Electric Eels“ ist einem Aufsatz Alexander von Humboldts entnommen, 1853 in englischer Übersetzung erschienen. Schon von Humboldt untersuchte das lebende und leblose, das natürlich sich bewegende und künstlich bewegte Tier. In seinen Jenaer Experimenten etwa brachte er durch Stromschläge Froschschenkel in Bewegung. In der Ausstellung belebt heute der Brite Simon Martin mit neuester High-Definitionstechnik einen Pfeilgiftfrosch aus mathematisch errechneten Renderings. Die hyperreale Darstellung der knallroten Lurchgestalt, die matte Feuchtigkeit ihrer Amphibienhaut machen die Grenzen zwischen Echtheit und Künstlichkeit der Kreatur in dem Video unkennbar.

Der Naturforscher Alexander von Humboldt brachte auch das Konzept des Ökosystem in den Diskurs der Wissenschaften und damit die Gewissheit, dass der Mensch ein Mitspieler in den geologisch-biologisch-atmosphä­rischen Prozessen auf dem Globus ist. Im Hintergrund der Ausstellung schwingt denn auch der Gedanke an dieses Anthropozän immer mit. Er begleitet etwa Cyprien Gaillards in mystischer Ruhe umherschweifenden Wellensittich-Schwarm. 2015 filmte der Franzose die exotischen Vögel, die schon über mehrere Generationen in Düsseldorf zwischen extravaganter Libeskind-Architektur und bürgerlicher Einkaufspassage ihr eigenes Biotop gefunden haben.

Doch trotz Gaillards versunken langsamer Erzählung sind es die schwindelerregenden Zusammenhänge von Technik, Wissenschaft, natürlicher und künstlicher Kreatürlichkeit, von denen diese sehenswerte Ausstellung berichtet.

Bis 26. November 2017, Julia Stoschek Collection, Leipziger Str. 60, Do.–So., 14–20 Uhr

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