: Fast wie bei „Hart aber fair“
Russland Vier Stunden stellte sich Präsident Wladimir Putin bei der jährlichen „Bürgersprechstunde“ Fragen aus dem ganzen Land. Manche beantwortete er
aus Moskau Klaus-Helge Donath
Präsident Wladimir Putin bewies gestern wieder Ausdauer. Vier Stunden lang stand er dem Volk Rede und Antwort. Zum fünfzehnten Mal fand die alljährliche Sendung seiner sogenannten Bürgersprechstunde „Direkter Draht“ seit Putins Amtsübernahme 2000 statt.
Wie immer hatte sich der Kremlchef bis ins Detail und Stellen hinterm Komma auf die Fragestunden vorbereitet, in denen er manch einem Bürger auch sehnliche Wünsche erfüllt. Vor allem geht es den Regisseuren des beliebten Formats jedoch darum, den Menschen ein Gefühl der Ruhe, Sicherheit und Geborgenheit zu vermitteln.
Der „Direkte Draht“ simuliert einen Austausch zwischen Volk und Führung, der seit Langem nicht mehr stattfindet.
Einige Tage vorher werden die handverlesenen Teilnehmer aus allen Teilen Russlands in einem Erholungsheim vor den Toren Moskaus auf das Treffen mit dem Präsidenten vorbereitet. Kleiderfragen und Trinkverhalten werden am häufigsten besprochen, erzählen Eingeweihte.
Es gehört bereits zum Ritual, dass Putin mit einem Überblick über die wirtschaftliche Lage Russlands beginnt. In seiner Wahrnehmung stellt sie sich meist etwas besser dar als vor den Mauern des Kreml. „Die Rezession ist beendet und wir sind in eine Phase des Wachstums übergegangen“, meinte Putin. Ähnlich klang es auch schon in den Vorjahren. Die Inflation sei gering und die Währungsrücklagen seien wieder gewachsen, so Putin. Zwar sei Russland immer noch von Rohstoffexporten wie Erdöl abhängig. Aber auch der Export von anderen Gütern habe zugenommen. Der Faktencheck unabhängiger Beobachter wartet am nächsten Tag gewöhnlich mit etwas vorsichtigeren Ergebnissen auf.
Doch das ist auch nicht die wichtigste Aufgabe des Fragemarathons. Wladimir Putin präsentiert sich als eine Art russischer Wundertäter und Alleskönner. Das Forum bietet ihm überdies die Gelegenheit, sich von der Bürokratie und der politischen Elite zu distanzieren. Der Kremlchef untermauert damit den jahrhundertealten russischen Mythos, dass im Lande alles besser laufen würde, wenn der Zar nur im Bilde wäre. So ging er auch auf den geplanten Abriss Tausender günstiger Wohnungen im Zentrum Moskaus ein. Alles, was dort geplant sei, geschehe auf gesetzlicher Grundlage und im Interesse der Bürger.
Außenpolitisch widmete sich der Präsident den gespannten Beziehungen zu den USA. Neben den Konflikten in der Ukraine und in Syrien belasten vor allem in den USA kursierende Vorwürfe, sich in den US-Wahlkampf 2016 eingemischt zu haben, das Verhältnis zu Washington. Putin bekräftigte seine Absicht, die Beziehungen zu den USA zu normalisieren. Dazu meldete sich auch ein US-Bürger aus Arizona bei Putin, der ihn darum bat, die bilateralen Beziehungen in Ordnung zu bringen.
Die Dramaturgie der Veranstaltung war gekonnt. Auch die Unterstützung im Ausland ist ihm sicher. Zur aktuellen Affäre um den Ex-FBI-Chef Comey sagte Putin, Comeys Verhalten unterscheide sich nicht von dem des Whistleblowers Snowdon. Damit stünde einem politischen Asyl Comeys in Moskau nichts mehr im Wege.
Er schloss nicht aus, dass er bei der Präsidentenwahl 2018 erneut kandidieren werde. „Das muss der Wähler entscheiden, das russische Volk“, sagte er. Er selbst werde sich irgendwann entscheiden.
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