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Gerechtigkeit für Ralf Stegner

ORTSTERMIN Journalistin Susanne Gaschke hatte in der SPD schon viele Rollen inne. Nun stellt sie ihr Buch vor, in dem sie den Zustand der Partei rezensiert. Funktioniert das?

aus Berlin Stefan Reinecke

Es ist derzeit nicht so einfach, ein Sachbuch über die SPD zu schreiben. Die Pendelschläge in der Politik sind schneller als die Werbetexte in den Verlagen. So war das Buch der Welt-Journalistin Susanne Gaschke Ende 2016 wohl als schlüssige Erklärung geplant, warum es nichts wird mit der Gabriel-Partei. Dann kam der Schulz-Hype und dem Verlag die Besorgnis, ob ein Warum-mal-wieder-alles-schief-geht-mit-der-SPD-Buch so richtig gut passt. Dann der Schulz-Absturz. Jetzt heißt das Buch „Eine Partei zwischen Burnout und Euphorie“. Andersherum wäre es treffender.

Dietmar Bartsch, Chef der Linksfraktion, stellt das Buch in einem Restaurant im Regierungsviertel vor. Solche Cross-over Besetzungen – Linkspartei und rechte Sozialdemokratin – sind beliebt. Sie versprechen Widerspruch, in netter Form natürlich. Bartsch und Gaschke duzen sich. Beide wirken sehr norddeutsch, das verbindet. Irgendwie erdulden sie auch Ähnliches. „Sie leidet mit ihrer Partei, das kenne ich“, so Bartsch.

Die Hauptstadtpresse ist eher spärlich vertreten. Wäre die SPD noch im Aufwind, Rot-Rot-Grün eine plausible Möglichkeit, dann wäre dies ein Spektakel. Aber so ist es nicht. Gerade nach dem Parteitag in Hannover.

Linkspartei-Mann Dietmar Bartsch lobt und tadelt das Buch, in ausgewogen norddeutscher Art. Einleuchtend scheint ihm Gaschkes Kritik der abgedichteten Politsprache der SPD, die zu den überzeugenderen Passagen des Textes zählt. Besonders Gaschkes Wort „Verzweiflungsopportunismus“ gefällt ihm. Gemeint ist der Wankelmut der SPD, die sprunghaft, und bloß um Machtmöglichkeiten zu haben, gestern Rot-Rot-Grün und heute ein Bündnis mit der FDP ins Spiel bringt. Was fehle, sei, dass die Autorin und die SPD sich für Verteilungsgerechtigkeit engagieren, sagt Bartsch. Als Erstes räumt Susanne Gaschke mit einem Vorurteil auf. Die SPD gilt noch immer als diskussionsfreudig bis zur Handlungsunfähigkeit. Das aber sei das Image der 1990er Jahre. Heute laboriere die Partei an „einer Geschlossenheit, die von Friedhofsruhe nicht zu unterscheiden ist“.

Gaschke kennt die SPD nicht nur gut, sondern auch aus mannigfachen, nicht immer sauber trennbaren Rollen. Sie ist mit einem SPD-Bundestagsabgeordneten verheiratet, seit 30 Jahren Genossin und gibt als Journalistin ihrer Partei Tipps, was die tun oder lassen soll. In einem unglückselig und abrupt geendeten Intermezzo war sie 2012 SPD-Oberbürgermeisterin in Kiel. Die Meinungen, ob sie sich im Intrigennetz der SPD in Schleswig Holstein verirrte, ob sie an dem damaligen Ministerpräsidenten Torsten Albig scheiterte oder an eigener handwerklicher Stümperei gehen auseinander. Filmkritiker sind ja auch selten begabte Regisseure.

Von dem Ausflug in die Politik sind nachhaltige Feindschaften geblieben. Der SPD-Linke Ralf Stegner würde sie am liebsten aus der Partei werfen.

Die SPD laboriere an „einer Geschlossenheit, die von Friedhofsruhe nicht zu unterscheiden ist“, kritisiert Susanne Gaschke

Gaschke konterte am Montag sarkastisch, dass der SPD-Slogan in Schleswig-Holstein „Mehr Gerechtigkeit für alle“ nun doch in Erfüllung gegangen sei. Nämlich für Albig, dessen Politkarriere zu Ende ist und für Wahlverlierer Stegner. Offenbar gilt in der SPD im Norden noch immer die alte Steigerungsformel: Feind, Todfeind, Parteifreund. Vielleicht ist der freundliche Dietmar Bartsch weniger Cross-over-Besetzung als Nummer sicher. Eine Gegenbesetzung wäre eher ein Sozialdemokrat gewesen.

Gaschke berichtet auch von einem Spargelessen, bei dem SPD-Freunde und Dietmar Bartsch mal überlegten, wer denn die SPD retten könne. Der Linkspartei-Mann machte Vorschläge, bei denen Gaschkes SPD-Freunde stets unwillig abwinkten. Während sie davon freimütig erzählt, tritt Bartsch dabei nervös von einem Bein aufs andere. Diese öffentliche Plauderei über die Plauderei beim Spargelessen ist ihm unangenehm. In diesem Moment ahnt man, woran Gaschke als Oberbürgermeisterin gescheitert sein könnte.

Ansonsten muss sich der linke Fraktionschef allzu eindeutiger Vereinnahmungen erwehren. „Mit Dietmar Bartsch würde ja jeder koalieren“, sagt Gaschke schneidig. „Na, hoffentlich nicht jeder“, kontert Bartsch mit dünnem Lächeln. Er hat so seine Erfahrungen mit schneidig auftretenden Politikerinnen.

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