piwik no script img

„Das sorgt für weiteren Unmut“

Mehr Kinder Bremer Eltern und ErzieherInnen wehren sich gegen die Vergrößerung der Kitagruppen. Die Personalrätin erklärt im Interview, warum das so ist

Ist es wirklich so schlimm, wenn bald eineR mehr krümelt? „Ja“, sagt die Expertin Foto: Georg Wendt/dpa

Interview Birk Grüling

taz: Frau Wetjen, auf den ersten Blick scheint die Erhöhung der Gruppengröße von 20 auf 21 Kinder eher klein. Warum sorgt ein einziges Kind mehr für so viel Unmut?

Grit Wetjen: Wir Erzieher sollen und wollen uns sehr individuell um Kinder mit ganz unterschiedlichen Bedürfnissen kümmern. Zum Beispiel haben wir in Bremen eine große Zahl von Kindern mit sprachlichem und sozialem Förderbedarf. Dazu kommen noch jene mit Fluchterfahrungen. Ihnen allen gerecht zu werden, ist schon heute kaum noch möglich. Das sorgt verständlicherweise für Unmut bei den Eltern.

Und beim Personal.

Gleichzeitig steigt dadurch natürlich auch die Arbeitsbelastung für die Pädagogen. Leider können viele offene Stellen oder krankheitsbedingte Ausfälle nicht besetzt werden. Und mit jedem weiteren Kind verschlechtert sich die Situation weiter. Das gilt besonders für Einrichtungen, die in sozialen Brennpunkten arbeiten. So oder so gibt es mit dieser Regelung nur Verlierer.

Hat die Politik den Ausbau der Kinderbetreuung verpasst?

Der Ausbau der Kinderbetreuung wurde von allen Seiten verschlafen. Parallel zum Rechtsanspruch auf Betreuung für die unter Dreijährigen hätte es einen massiven Ausbau aller Betreuungsplätze geben müssen. Das wurde allerdings versäumt. Dieser Missstand soll nun durch das 21. Kind notdürftig kompensiert werden. Nach aktuellen Prognosen müssten bis 2020 eigentlich 65 neue Einrichtungen für je 80 bis 100 Kinder entstehen. Der politische Wille dazu scheint aber begrenzt. Das sorgt für weiteren Unmut bei den Kollegen und Eltern.

In Bremen bleiben vielen Erzieherstellen unbesetzt. Wie groß ist der Fachkräftemangel?

Allein für die 35 geplanten Mobilbauten-Kitas, die ab August in Bremen betrieben werden sollen, fehlen 65 pädagogische Fachkräfte. Das sorgt bei den Kollegen vor Ort für große Sorgen. Sie müssen schon pädagogische Konzepte entwickeln, mit Kindern planen und erste Gespräche mit den Eltern führen. Und sie ahnen schon, dass sie die fehlenden Kollegen durch Mehrarbeit ausgleichen müssen. Das fördert nicht gerade die Motivation der Erzieher. Auch hier zeigt sich wieder die verfehlte Neu- und Ausbauplanung.

Wie groß ist Fachkräftekonkurrenz aus Umland?

Die Gemeinden aus dem Umland rollen derzeit den Bremer Erziehern einen roten Teppich aus. Sie locken mit besseren Arbeitsbedingungen, neuen Einrichtungen und guter Bezahlung. Diese Konkurrenz ist nicht neu. Schon vor der Ankündigung des 21. Kindes bekamen wir zahlreiche Kündigungen von langjährigen Kollegen, die ins Umland abwandern.

Wie reagieren die Eltern?

Wie groß der Unmut in der Elternschaft ist, zeigt die Solidarität mit unserem Protest. Die Zentralelternvertretung kämpft eng an unserer Seite. Wir gehen außerdem davon aus, dass sich auch viele Eltern individuelle Lösungen suchen werden, wenn sich die Betreuungssituation weiter verschlechtert.

Gelten die neuen Regelungen eigentlich für alle Kindergärten in Bremen?

Grit Wetjen

ist Personalratsvorsitzende bei der Interessenvertretung Kita Bremen und lehnt die Vergrößerung der Kita-Gruppen ab.

Neben den städtischen Einrichtungen gilt die Erhöhung um ein Kind auch für alle karitativen und kirchlichen Träger. Ausgenommen sind nur die rund 137 von Elterninitiativen betriebenen Einrichtungen. Auch die Gruppen der Tageseltern vergrößern sich nicht. Diese Alternativen werden nun für Eltern natürlich noch attraktiver.

Wie hoch sind die Chancen des Protests?

Wir protestieren entschieden gegen die Erhöhung. Ob wir damit das 21. Kind kippen können, wird sich zeigen. Was mir fast noch größere Sorgen bereitet, sind die fehlenden Signale der Politik in Richtung Zukunft. Bisher ist von einem schnellen Ausbau der Plätze wenig zu spüren. Das ist aber die Voraussetzung dafür, dass die Erhöhung wirklich nur auf drei Jahre begrenzt bleibt. Deshalb fordern wir auch einen sofortigen Baubeginn für neue Häuser. Außerdem brauchen wir unbedingt noch mehr Personal als bisher eingeplant ist.

Scheitert Ihr Protest, gilt für die nächsten drei Jahre: Augen zu und durch?

Leider, ja. Wir hoffen aber auf eine Lösung mit Augenmaß. Man kann nicht jeder Gruppe das 21. Kind zumuten. Gerade in Einrichtungen mit großen Personalproblemen oder vielen Kindern mit einem höheren Förderbedarf sollte die Neuregelung keine Anwendung finden. Leider wissen wir noch nichts darüber, wie die genaue Verteilung geregelt werden soll. Das werden die nächsten Wochen und Monate zeigen.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen