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Chefklopperin von zierlicher Schönheit

Cannes Cannes 7 Von Sündenböcken, Rachedurst und schönen Killerinnen: Filme von Giorgos Lanthimos, Jung Byung-gil und Hong Sang-soo

Die Stars halten in Cannes in der Regel Abstand. Bei den Abendgalas sitzen sie zwar mit im Publikum, jedoch meistens für sich. Dafür kann man bei Vorführungen, etwa aus der Nebenreihe „Un Certain Regard“, schon mal Jurymitgliedern wie dem Schauspieler Reda Kateb, der vor Kurzem im jüngsten Wim-Wenders-Film im Kino zu sehen war, auf der Toilette begegnen. In den Pressevorführungen bleiben die Journalisten ansonsten ja weitgehend unter sich.

Was manchmal gar nicht so verkehrt ist. Als nach Giorgos Lanthimos’Wettbewerbsbeitrag „The Killing of a Sacred Deer“ die Buhrufe sehr vernehmlich durch den Kinosaal hallten, wollte man dem Regisseur nicht wünschen, unter den Zuschauern gewesen zu sein. 2015 hatte Lanthimos in Cannes für seine Science-Fiction-Groteske „The Lobster“ noch den Preis der Jury erhalten. Dass jetzt seine archaische Vergeltungsparabel, eine knapp zweistündige drastische Illustration des Talionsprinzips „Auge um Auge“, erneut siegreich aus dem Rennen hervorgehen wird, erscheint weniger wahrscheinlich.

Das in extremem Weitwinkel gedrehte und mit einem dissonant-verstörenden Soundtrack virtuos vertonte Moraldrama hat den Augen und Ohren zwar einiges zu bieten. Giorgos Lan­thimos setzt auf ein maximales Gefühl der Bedrohung in dieser Geschichte um einen Herzchirurgen (Colin Farrell), der nach einem Schönheitsfehler vom Sohn des verstorbenen Patienten mit einer ungewöhnlichen Forderung konfrontiert wird: Der Arzt soll ein Mitglied seiner Familie opfern, um für ausgleichende Gerechtigkeit zu sorgen. Tut er das nicht, sterben seine Frau (Nicole Kidman), die Tochter und der Sohn. Die grimmige Ausweglosigkeit walzt Lanthimos dann bis zum arg vorhersehbaren Finale so sehr aus, dass er das im Grunde nicht uninteressante Dilemma grimmig zu Tode exekutiert.

Wenn schon konsequent, dann doch lieber wie in „The Villainess“ des Koreaners Jung Byung-gil. Zwei Stunden lang kann man der weiblichen Protagonistin darin zusehen, wie sie ihre männlichen Widersacher in überdrehten Nahkampfchoreografien maximal effizient aus dem Verkehr zieht.

Weniger konsequent ist bloß die als Rahmen darum gezimmerte unglückliche Romanze der Killerin, die vom Geheimdienst zwangsrekrutiert wird und, mit einer neuen Identität versehen, sich in ihren Undercover-Bewacher verliebt. Trotzdem ein etwas anderer Actionfilm, der die Gepflogenheiten des Genres so verschiebt, dass die Chefklopperin und -ausputzerin keine bullig-muskulöse Figur ist, sondern eine zierliche Schönheit.

Um in Korea zu bleiben: Mit Hong Sang-soo ist ein weiterer, höchst konsequenter Filmemacher im Wettbewerb zu erleben. „The Day After“ ist eine liebevoll-boshafte Vierecksgeschichte um einen Verleger, seine Frau, seine Angestellte/Geliebte und eine weitere Angestellte, die in der übersichtlich verstrickten Gemengelage als Sündenbock fungiert.

Geradlinig führt Hong Sang-soo eine scheinbar ausweglose Situation herbei, die in gewohnt spartanischen Einstellungen – meistens sitzen sich zwei Menschen an einem Tisch gegenüber, essen, trinken (viel) und sprechen – und mit minimalen Mitteln wie Kameraschwenks wahlweise Nähe oder Distanz zwischen den Figuren entstehen lässt. Die eigentlich hochgradig elende Lage der Beteiligten – die Frau ist dem Verleger auf die Schliche gekommen, dass er sie betrügt, seine angestellte Geliebte will ihren Chef ganz für sich, die neue Angestellte, die die Geliebte ersetzen soll, wird schamlos ausgenutzt – bringt Hong in den Dialogen mit perfider Lakonie auf den Punkt.

Hong verlässt sich auf seinen Sinn für die menschliche Komödie, der keine Niedertracht fremd ist. Das tut er elegant und kurzweilig durch kleine unerwartete Wendungen – wenn auch ohne wirklich zu überraschen. Tim Caspar Boehme

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