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„Hier soll niemand ausgegrenzt werden“

Online Shop Wie verkauft man heute anspruchsvolle Mode? Braucht es dazu noch das stationäre Ladengeschäft? Ein Gespräch mit Andreas Murkudis, dessen Berliner Concept Store weltweite Bekanntheit genießt

Interview von Tania Martini und Brigitte Werneburg

taz: Herr Murkudis, Sie annoncierten gerade einen neuen Onlineauftritt. Jetzt stehen wir hier in Ihrem Laden in Berlin. Braucht Ihr Concept Store überhaupt die Onlinepräsenz?

Andreas Murkudis: Ich bin ein großer Befürworter des stationären Handels. In unseren vier temporären, nacheinander laufenden Onlineshops steckt ja auch Kritik am Onlineverkauf. Es wird oft gesagt, es brauche die stationären Läden nicht mehr, aber ich glaube, dass man sie sogar extrem braucht.

Was missfällt Ihnen am Onlinehandel?

Wir haben fast 8.000 verschiedene Produkte hier im Laden. Es wäre personaltechnisch gar nicht zu machen, alle diese Dinge online zu platzieren. Und dann mag ich es einfach nicht, dass diese ganzen Dinge, an denen ich in gewisser Weise hänge – die Idee war ja, dass ich im Laden nur Dinge verkaufe, die ich wirklich mag –, so viel unterwegs sind, erst in eine Kiste gepackt und dann wieder zurückgeschickt werden. Ich arbeite sieben Tage die Woche daran, dass die Leute in den Laden kommen und sich nicht nur virtuell mit seinen Produkten auseinandersetzen. Bei den Onlinestores mytheresa oder net-a-porter, da müssen sich die Dinge verkaufen. Das hat Priorität. Es werden dann nur Kollektionen gekauft, die gut gehen.

Sie müssen doch auch verkaufen?

Klar, wir müssen unsere Rechnungen bezahlen, unser Personal, unsere Werbung, aber wir leisten uns halt auch den Luxus, dass wir Kollektionen führen, die sich nicht wahnsinnig gut verkaufen, die aber einfach wichtig sind, die wir mögen und die wir den Kunden erst näherbringen müssen.

Zum Beispiel?

Unser Nymphenburg-Porzellan ist kein Selbstläufer. Wer kauft sich eine Vase für 3.000 Euro oder ein Service von Olaf Nicolai für 7.500 Euro? Aber das sind Dinge, die ich mag, und ich finde halt auch, dass man so etwas fördern muss. Nymphenburg ist ja gerade ins Unesco-Welterbe aufgenommen worden. Wir wollen, dass Leute die gleiche Leidenschaft empfinden wie wir.

Und das leistet ein Concept Store?

Ja, wir haben zwar sehr bekannte Marken wie Céline, aber mehr noch unbekannte. und die kann man online dem Kunden gar nicht nahebringen. Das heißt, man muss diese Dinge hier vor Ort zeigen – den Schnitt, das Material, das Besondere. Es wird in der Zukunft Läden geben, die günstige Dinge anbieten. und Läden, die das Besondere anbieten. Alles, was dazwischen ist, wird nicht mehr funktionieren, egal ob online oder stationär.

Nicht jeder hat die Mittel, bei Ihnen einzukaufen. Da Sie stationär sind, kann man wenigstens schauen, wenn man sich traut.

Andreas Murkudis

wurde 1961 als Sohn griechischer Einwanderer in Deutschland geboren. Der jüngere Bruder des Modedesigners Kostas Murkudis war Geschäftsführer im Berliner „Museum der Dinge“. 2011 zog er mit seinem gleichnamigen Laden in das ehemalige Verlagsgebäude des Tagesspiegels in der Potsdamer Straße.

Wir versuchen auch Marken zu bieten wie Barena und Aspesi, die bei unter 100 Euro anfangen und nicht einfach ganz abgehoben bei einem Minimum von 500 Euro. Auch ein Mode­student, der sich einfach Céline oder Dries Van Noten anschauen will, was das für Drucke sind, ist willkommen. Hier soll niemand ausgegrenzt werden. Wenn man die Leute nicht mehr überraschen kann, werden sie auch nicht kommen. Der Kunde, der eine Marke nicht kennt, soll sie schließlich so mögen wie wir und entsprechend viel Geld dafür zu bezahlen. Das ist natürlich nicht so einfach, wie ein Dries-Van-Noten-Kleid zu verkaufen.

Diese Vermittlungsarbeit macht Ihnen Spaß.

Ja, das ist auch meine Aufgabe, denn diese kleinen Marken, die wir auch führen, können zum Teil auch nur überleben, weil kleinere Läden wie wir das kaufen.

Wie finden Sie diese Marken?

Ich habe viele Leute, die mir Tipps geben, und ich recherchiere. Außerdem kriege ich jeden Tag fast 150 E-Mails, die ich mir tatsächlich auch anschaue. Eigentlich könnten wir doppelt so viel zeigen, wenn wir mehr Platz hätten.

Aktuell lancieren Sie eine Plattform, auf der Sie vier Auktionen planen. Wie funktioniert das?

Wir haben eine neue Website gemacht, und normalerweise werden ja Websites gemacht, um Onlineshops zu propagieren. Da wir das nicht wollen, dachten wir, okay, dann machen wir das Spiel so ein bisschen mit, aber konterkarieren es gleichzeitig und machen einen Online­shop, wo es Dinge gibt, die es eigentlich nie zu kaufen gab. Dafür bin ich in mein Archiv gegangen.

Was ist das für ein Archiv?

Ich wollte vor Ewigkeiten mal im Gropius-Bau eine Ausstellung machen: Warum Mode zu Mode wird. Das war Mitte der 90er Jahre für die Stiftung Klassenlotterie, der war es aber zu teuer. Damals galt Mode noch als etwas, was kein Mensch braucht. Ich hatte schon in den 80ern angefangen zu sammeln, auf den Modeschauen, auf die ich gegangen bin, Dinge, die ich jetzt schon 30 Jahre mit mir herumschleppe. Deshalb dachte ich, es wäre ja vielleicht schön, dass andere diese Dinge bekommen, die sie schon immer mal gerne haben wollten. So kam es zu der Idee der Auktion. Ich habe die schönsten Dinge ausgesucht, querbeet, von Jil Sander, Helmut Lang, Gaultier und so weiter. Es fängt mit 30 Euro an, weil es ja nicht wirklich darum geht, damit Geld zu verdienen.

Und wie liefen die ersten Auktionen?

Wir konnten natürlich nichts Ebay-mäßiges bauen, das wäre nicht finanzierbar für unsere Website. Deshalb haben wir das per E-Mail gemacht. Mehr als die Hälfte der Objekte wurde be­boten und zum Teil auch verdoppelt und verdreifacht. Ich glaube, dieser Handschuh von Raf Simons ist von 500 auf 1.300 Euro gegangen. Die Leute waren teilweise wahnsinnig überrascht über die Angebote und haben uns immerzu E-Mails geschrieben. Für uns war das ein schönes Erlebnis, weil wir uns das wirklich gewünscht hatten, dass Menschen aus der ganzen Welt Dinge finden, die sie sonst nie gesehen hätten. Wir sahen Bieter aus China. Eine schöne Resonanz kam von Yamamoto, der geschrieben hat, dass wir einer seiner ältesten Kunden seien und eigentlich die Kollektion immer durchgängig gekauft haben. Oder von Marc Ascoli, der ja mit Jil Sander damals diese ganzen tollen Look-Books gemacht hat, wo Leute wie Nick Knight oder Craig McDean überhaupt zum ersten Mal gearbeitet haben. Und Marc Ascoli schrieb auch irgendwo drunter: Das ist immer noch zu billig, das geht nicht. Das war toll, dass auch die Urheber dieser besonderen Objekte sich mit eingebracht haben und das wertgeschätzt haben, dass jemand das alles gesammelt hat.

Ist es nicht schade um die Ausstellung, die es jetzt nicht mehr geben kann?

In Berlin passiert da einfach nichts. Jil Sander kriegt jetzt erst ihre erste Ausstellung, in Frankfurt, im Museum Angewandte Kunst. Es gibt noch keine Monografie über sie. Oder denken Sie an die Ausstellung, die gerade in Antwerpen läuft, „Margiela. Die Hermès-Jahre“. Es wäre so einfach, sie nach Berlin zu holen.

Was ist die Idee beim Einkaufen? Was ist die Idee von Schönheit, die Sie haben? Oder wenn man an den frühen Margiela denkt, vor den Hermès-Jahren, wer den kaufte, der hat sich meist auch für Genderpolitik interessiert. Gibt es diese Ideen außerhalb der Mode selbst, die für Sie wichtig sind?

Man hat schon einen Kunden im Kopf. Wir hatten zum Beispiel mal eine Zeit lang überlegt, dass wir zu wenig die Frauen ansprechen, die richtig feminine, sexy Kleider wollen. Wir haben dann tatsächlich diese wahnsinnig schönen, fast transparenten Blumenkleider gekauft. Doch dann stellten wir fest, dass unsere Kundin das Feminine bei Dries Van Noten sehr schätzt, aber diesen Schritt zu noch mehr Femininem nicht mitmacht.

Die nächste Onlineauktion läuft vom 16. Juni bis zum 9. Juli. Was machen Sie da?

Die dritte Auktion im Juni ist ganz spannend: Fotobücher, zum Teil signiert, die auf jeden Fall nicht regulär zu kaufen sind. Die vierte Auktion beinhaltet Design-Objekte, die ich gesammelt habe und die ich abgebe, um andere Leute hoffentlich damit glücklich zu machen.

Was passiert dann mit der Website, wenn die Auktionen vorbei sind?

Es geht darum, dass wir mehr Inhalte vermitteln. Wir wollen über die Marken, mit denen wir zusammenarbeiten, noch mehr erzählen. Wir überlegen, ob wir Reisen zu den Produktionsorten organisieren sollen, um zu zeigen, wie da gearbeitet wird. Es gibt zum Beispiel die Geschichte von Neri, das ist das Label von Raphaela Hermes Schilling, einer Deutschen in Florenz. Sie lässt ihre Doubleface-Kaschmirmäntel von einem älteren Herren nähen, der nur 50 Mäntel pro Saison schafft. Am Ende nimmt er bei den kamelhaarfarbenen einen Stock mit Disteln und geht damit über den Stoff, damit er eine bestimmte Struktur kriegt. Das ist ein Arbeitsprozess, bei dem Zeit keine Rolle spielt.

Das hört sich nach Nachhaltigkeit an?

Ja, viele Firmen, mit denen wir arbeiten, produzieren nachhaltig. Zum Beispiel ist die Firma Tonello, die Anzüge macht, gerade in Italien ausgezeichnet worden, weil sie die besten Ausbildungsplätze hat und in Italien produziert. Man denkt immer, Mode ist halt irgendwie was, das braucht kein Mensch. Dabei ist sie ist immer Teil unserer Kultur gewesen. Zum Beispiel die Firma Classicon: Dieser Tisch dort mit dem Glasfuß ist ein Verkaufsschlager. Für die mundgeblasene Basis fanden sie eine Firma im Bayerischen Wald, die kurz vor dem Bankrott stand, weil niemand ihr hochwertiges Glas nachgefragt hat. Jetzt kann diese Firma wieder Arbeitsplätze schaffen, um die Produktion dieses Tisches zu ­garantieren.

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