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All over und over all

Ausstellung Seine Aufnahmen aus New York, Moskau und Tokio sind weltberühmt, er arbeitete lange für die „Vogue“: William Klein ist einer der bedeutendsten Fotografen unserer Zeit und derzeit bei C/O Berlin zu sehen

Bei William Klein kann man Geschichten erahnen: „Bikini, Moscova River’s Beach“, 1959 Foto: © William Klein

von Lorina Speder

New York City, Stadt der unbegrenzten Möglichkeiten. Es gibt viele Mythen und Sprichworte, die man mit dem Big Apple verbindet. Diesen Blödsinn habe er aber nie geglaubt, behauptet William Klein. Der berühmte Fotograf ist 1928 in NYC geboren, in seinen kontrastreichen Werken wirft er einen anderen Blick auf das Leben in der Metropole.

Bei C/O Berlin ist derzeit eine umfassende Retrospektive mit den verschiedenen künstlerischen Phasen Kleins und seinen Aufenthalten in Moskau oder Tokio gezeigt. Der experimentierfreudige und neugierige Künstler beschäftigt sich in seinen Arbeiten mit Fotografie und Videokunst und verbindet zugleich sein Experimentieren an Kontaktabzügen mit Malerei. In seiner Zeit als Fotograf bei der Vogue (bis 1965) überschreitet er Grenzen in der Modefotografie und befreit diese von den starren Haltungen der Models und eingeengten Bildkompositionen.

Seine einflussreichen Bilder aus New York in den 1950er Jahren zeigen Kleins politische Sicht auf ein konsumorientiertes Leben und seine kritische Haltung gegenüber Massenmedien. Seine wohl berühmteste Fotoreihe namens „New York 1954–1955“ dokumentiert Kleins Zurückkommen in die Heimatstadt – schon mit 18 Jahren ging er nach Paris, wo er noch heute lebt. Die menschennahen Aufnahmen des amerikanischen Lebens in der Bronx erfassen das Geflirre genauso wie den dunklen Charakter der Stadt.

Die unperfekten und verschwommenen Lichtbilder sind bei C/O Berlin im ersten Raum der Ausstellung dicht aneinandergehängt – diese Überwältigung lässt wie in Kleins Fotografie keine Ruhe für den Betrachter zu. Der Künstler bestand selbst darauf, die Wände komplett mit seinen Motiven zuzuhängen – „All over“ – wie er diese Anordnung nennt. Bei C/O Berlin spiegelt sogar die Glasvitrine mit den Silbergelatineabzügen die weiteren Schwarz-Weiß-Bilder an der Wand.

Trotz der Reizüberflutung ist es möglich, die einzelnen Personen auf den Bildern zu identifizieren und ihre Geschichte zu erahnen – teilweise tauchen sie mehrmals auf. Wie das bubenhafte Mädchen im Kleid mit der verschwommenen, in die Höhe gestreckten Hand und dem schemenhaft erkennbaren Gesicht. Exemplarisch für Kleins persönliche Einstellung gegenüber New York ist außerdem die Szene der vier Frauen im Supermarkt, die mit ihren Einkaufswagen in der Schlange stehen. Dieser Überdruss im Blick der Frau im Vordergrund!

Anders als die aktionsreichen Bilder aus New York, die trotz ihrer räumlichen Nähe zu den Köpfen der Abgebildeten kalt wirken, erfassen die Fotografien im Nebenraum eine andere Menschlichkeit. Nachdem seine Heimatstadt für Klein ein Wutgefühl ausgelöst hätte, ist er überrascht gewesen von den Menschen in Moskau. Klein überkam in der damaligen Sowjetunion ein Gefühl der Melancholie: Im Gegensatz zu den reservierten Menschen aus New York übertragen die Personen auf seinen Fotografien aus Moskau eine Wärme, die sich durch den direkten Blickkontakt mit der Linse verstärkt. Bekannt ist besonders das Bild von 1959, in dem die strahlende, bikinitragende Russin vergnügt auf den Kameramann zuschreitet.

Die thematische Anordnung seines Werks im C/O Berlin hilft dabei, den Lebensweg des Kosmopoliten nachvollziehen zu können. Als letzte Schritte werden in der Ausstellung seine Modefotografie und Kleins Experimente in der Dunkelkammer präsentiert. Durch eine Vernissage dieser abstrakten Bilder in Paris kam die Vogue 1954 auf ihn zu. Er sollte über ein Jahrzehnt für das Magazin arbeiten.

Er sagt, er hat die Modewelt immer gehasst – die Ungleichheit zwischen den Menschen, die sie für ihn symbolisierte, versuchte er in seinen Fotografien zuverdeutlichen

Nach eigener Aussage habe er die Modewelt immer gehasst – die Ungleichheit zwischen den Menschen, die sie für ihn symbolisierte, versuchte er in seinen Fotografien zu verdeutlichen. Gestellte Gesichter in seinen Modefotografien übermalte er einfach und fotografierte fernab vom Fotostudio Straßenszenen, die nicht inszeniert aussehen.

Kleins Blick auf zwei Models, deren Wege sich an der Piazza di Spagna in Rom auf dem Zebrastreifen treffen, ist wohl das berühmteste Motiv. Es wurde im April 1960 in der Zeitschrift veröffentlicht. Die Abstraktion durch die kontrastreichen Streifen des Straßenübergangs wirkt noch heute aktuell.

Auch wenn der Fotograf selbst behauptet, dass seine Bilder wohl mit Abstand die unpopulärsten Fotos in der Vogue gewesen seien, ist sein Einfluss bis heute erkennbar. Es sind ohne Zweifel seine Haltung und die erzählenden Momente, die Kleins Bilder zu etwas Besonderem machen.

Und auch wenn der Fotograf in Interviews dem Zufall in seinen Bildern den größten Einfluss zuspricht, erkannte er die richtigen Augenblicke. Seine rohen Aufnahmen bei C/O Berlin zeigen eindrücklich, warum Klein zu den bedeutendsten Fotografen unserer Zeit gehört.

„William Klein. Photographs & Films“. C/O Berlin, Hardenbergstraße 22–24, tgl. 11–20 Uhr, noch bis 7. Juli

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