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Keine Fragen an den Kanzlerkandidaten

Sozialdemokraten Was hat die Niederlage bei den Landtagswahlen in Schleswig-Holstein mit Martin Schulz zu tun? Darüber wollen die Genossen nicht so gern reden. Stattdessen spricht der Kanzlerkandidat erst einmal ausführlich über seine Wirtschaftspolitik

Aus Berlin Malte Kreutzfeldt

Es ist ein merkwürdiger Auftritt der SPD-Spitze am Tag nach der krachenden Niederlage in Schleswig-Holstein. Zwar tritt die Parteiführung fast geschlossen an, als der gescheiterte Spitzenkandidat Torsten Albig im Berliner Willy-Brandt-Haus den obligatorischen Blumenstrauß erhält, begleitet von trotzigem Applaus. Sigmar Gabriel steht in der zweiten Reihe, Olaf Scholz ist da, Fraktionschef Thomas Oppermann und viele andere. Wir stehen zusammen, lautet die Botschaft für die Kameras. Auch im Moment der Niederlage, sagt Parteichef Martin Schulz, gelte „für die SPD ein Grundprinzip: das Prinzip der Solidarität miteinander“.

Bloß kein öffentlicher Streit vor der aus SPD-Sicht wesentlich wichtigeren Wahl im Stammland Nordrhein-Westfalen am nächsten Wochenende, bei dem der lange als sicher geltende Sieg derzeit infrage steht. Konsequenterweise fehlt deshalb eine prominente Sozialdemokratin bei der kollektiven Verantwortungsübernahme in Berlin: Die NRW-Spitzenkandidatin Hannelore Kraft will mit einer Niederlage derzeit auf keinen Fall assoziiert werden.

Nach wenigen Minuten ist die Pressekonferenz vorbei, Fragen sind – anders als üblich – nicht zugelassen. Die SPD will die Agenda bestimmen; Aussagen zur wahren Stimmung in der Partei und der Zukunft von Thorsten Albig würden dabei ebenso stören wie Fragen zur den wahren Gründen der Niederlage in Schleswig-Holstein und der Rolle von Martin Schulz.

Souverän wirkt das nicht unbedingt. Offenbar ahnt die Parteiführung, dass ihre Antworten wenig glaubwürdig wären. Denn mit der Realität hat das öffentlich beschworene Bild der Solidarität nicht viel zu tun. Intern hat man sich längst darauf geeinigt, die Schuld für das Debakel komplett bei Albig abzuladen, der mit dem Bunte-Interview über seine Ehe (siehe links) und falscher Themensetzung den Wahlkampf vergeigt habe, heißt es aus der Parteiführung. Und auch ob es richtig war, dass Martin Schulz bei so manchen Themen bisher eher vage oder ganz stumm geblieben ist, bezweifeln manche.

Das immerhin soll sich an diesem Montag ändern: Am Mittag ist der Parteichef und Kanzlerkandidat der Sozialdemokraten beim Deutschen Industrie- und Handelskammertag (DIHK) zu Gast, um eine Rede über „Gerechtigkeit und Innovation“ zu halten. Dieser Auftritt, der zugleich als offizieller Grund dafür herhalten muss, dass Schulz am Morgen keine Fragen beantwortete, war im Vorfeld als „wirtschaftspolitische Grundsatzrede“ angekündigt worden.

Doch im Ludwig-Erhard-Haus, wo der DIHK residiert, ist die Stimmung noch frostiger als im Willy-Brandt-Haus. Der Applaus der Wirtschaftsspitzen fällt so spärlich aus, dass Schulz nach kurzer Zeit gar keine Pausen mehr macht. Dabei gibt sich der SPD-Chef auf dem schwierigen Terrain alle Mühe, bloß keinen Fehler zu machen. Anders als üblich, liest das Kommunikationstalent Schulz, sonst nie um spontane Äußerungen verlegen, seine 50-minütige Rede fast Wort für Wort vom Blatt ab.

Darin sagt Schulz zwar vieles, was dem Publikum nicht gefallen dürfte. So müssten auch die Zusatzbeiträge in der Krankenversicherung künftig zu gleichen Teilen von Arbeitnehmern und Arbeitgebern getragen werden, fordert er. Und dem Wunsch der Wirtschaft nach Steuersenkungen erteilt er eine klare Absage: „Unerfüllbare Steuersenkungsversprechen“ werde es mit ihm ebenso wenig geben wie „unerfüllbare Sozialversprechen“, sagt Schulz.

„Für die Sozial­demokraten gilt ein Grundprinzip: das Prinzip der Solidarität miteinander“

Martin Schulz

Doch der SPD-Kanzlerkandidat sendet auch viele versöhnliche Signale an die Industrie – nicht nur, indem er sich wohlwollend über Ludwig Erhard und Helmut Kohl äußert. Sondern vor allem durch Dinge, die er nicht sagt. Eine gemeinsame europäischen Finanzpolitik, wie sie etwa der französische Wahlsieger Emmanuel Macron fordert, erwähnt Schulz, der sich früher für Eurobonds eingesetzt hatte, mit keinem Wort.

Stattdessen schimpft der ehemalige Präsident des EU-Parlaments auf die europäische Bürokratie – und verteidigt den deutschen Exportüberschuss. „Die Kritik an unserem hohen Handelsbilanzüberschuss halte ich für falsch“, sagt er. Als Gegenrezept empfiehlt Schulz eine „öffentliche Investitionsoffensive“, durch die auch die Importe steigen würden. Auch Unternehmen sollen zu Investitionen ermutigt werden: Wenn sie „ein schlüssiges Digitalkonzept“ vorlegen, bekommen sie „einen Investitionszuschuss“, verspricht Schulz; Investitionen in Forschung und Entwicklung sollen durch einen „Forschungsbonus“ steuerlich gefördert werden.

Und um die Ängste der Wirtschaft weiter zu zerstreuen, lässt sich der SPD-Chef am Schluss zu etwas hinreißen, was fast nach einer Koalitionsaussage klingt. „Unter meiner Führung wird es nur eine Koalition geben, die proeuropäisch ist und die ökonomische Vernunft walten lässt.“ Das hört sich nach einer Absage an die Linkspartei an, auch wenn es bei genauer Betrachtung keine ist – schließlich gibt es für „ökonomische Vernunft“ keine allgemeingültige Definition.

Denn trotz aller demonstrierten Wirtschaftsfreundlichkeit dürfte auch Schulz klar sein: Wenn er wirklich Kanzler werden will, kann er bei den derzeitigen Umfragewerten nicht allzu viele potenzielle Koalitionspartner definitiv ausschließen.

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