piwik no script img

Bis dann malim Bundestag

PortrÄt Philipp Hartewig ist der jüngste Direktkandidat Sachsens. Bis zu vierzig Stunden arbeitet er ehrenamtlich für die sächsischen Jungliberalen und die FDP. Was treibt ihn an?

Tätigkeitsschwerpunkt Politik: Student Philipp Hartewig Foto: F.: Ramona Schacht

von Nadja Mitzkat

Sonntagabend, 14. Mai 2017. Während die Wahlparty der FDP im Düsseldorfer Zollhafen gerade in Schwung kommt, verlässt Philipp Hartewig die „Gohliser Wirtschaft“. Zusammen mit 30 anderen Mitgliedern der Jungliberalen Leipzig hat er hier den Ausgang der Landtagswahlen in Nordrhein-Westfalen verfolgt. Viel Zeit bleibt nicht, um sich über das „historische“ Ergebnis von 12,6 Prozent zu freuen. Er muss weiter zur Telefonkonferenz des Landesvorstands der Jungliberalen Sachsens.

Freitag bis Samstag Bundesparteitag der FDP in Berlin, Montag Friedensdemo in Chemnitz, Donnerstag Charity-Lauf in Döbeln – ein Blick in Hartewigs Kalender zeigt, die Telefonkonferenz am Wochenende ist nur einer von vielen Terminen. Im Schnitt reist er alle zwei Tage mit dem Zug, arbeitet bis zu vierzig Wochenstunden. Man könnte meinen, er sei Berufspolitiker – ist er aber nicht.

Der Leipziger Jurastudent absolviert all diese Termine ehrenamtlich. „Momentan investiere ich mehr Zeit in das Hobby Politik als in mein Studium. Bis September sind ein Großteil meiner Abende und die meisten Wochenenden verplant“, sagt Hartewig. Er ist Landesvorsitzender der Jungliberalen Aktion. Bei der Bundestagswahl tritt er als Kandidat der FDP im Wahlkreis Mittelsachsen an. Mit seinen 22 Jahren ist er der jüngste Direktkandidat Sachsens.

Zwar seien junge Menschen zwischen Anfang und Mitte 20 häufig in besonderem Maße politisch engagiert, erklärt der Leipziger Politikwissenschaftler Hendrik Träger. Die Mitgliedschaft in einer Partei käme für viele aber nicht in Frage. Sie bevorzugten andere Formate wie Bürgerinitiativen und Vereine. Junge Leute wollen sich für ein konkretes Thema mit flexiblem Zeitaufwand einsetzen. „Das ist viel weniger mühselig, als sich innerhalb einer Partei von der untersten Ebene nach oben zu kämpfen.“

Doch Hartewig tut genau das. Anfang 2010, da ist er gerade 15, tritt er den Jungliberalen bei. Ein Jahr später wird er als jüngstes Mitglied in den Landesvorstand gewählt. Es folgen der Eintritt in die FDP und die Wahl zum Landesvorsitzenden der Jungliberalen. „Ich glaube, man bleibt am ehesten da, wo man sich auch wohl fühlt“, erinnert sich Hartewig an seinen ersten Besuch. „Es hat einfach direkt gepasst.“

Es ist ein Mittwochabend Ende April. Hartewig ist auf dem Weg zum Treffen der Jungliberalen in Dresden. Der Regionalexpress fährt den ersten von unzähligen kleinen Orten an, in denen er während der Fahrt von Leipzig in die Landeshauptstadt halten wird. Hartewig kennt die Region gut. Geboren wurde er in Chemnitz, aufgewachsen ist er in Lichtenau, in Mittweida hat er das Gymnasium besucht.

Bereits damals ist er überdurchschnittlich engagiert. Er wird Klassensprecher, Schülersprecher, setzt sich im Kreis- und Landesschülerrat für kleinere Klassen und die individuelle Förderung leistungsschwächerer Schüler ein. Zweimal im Monat informiert er Schüler anderer Schulen über ihre Mitwirkungsmöglichkeiten. Dafür reist er durch ganz Sachsen.

Ein für alle offenes und durchlässiges Bildungssystem – das ist bis heute eins von Hartewigs politischen Zielen. Wenn er darüber spricht, wird der sonst so besonnene 22-Jährige emotional. „Durch die vielen Besuche an anderen Schulen habe ich gesehen, wie viele talentierte Schüler es gibt. Es kann nicht sein, dass viele von ihnen über den Hauptschulabschluss nicht hinauskommen, nur weil sie in eine Familie mit sozialen Problemen hineingeboren wurden.“ Im Superwahljahr 2009 – es stehen Europa-, Bundestags- und Landtagswahlen an – meldet sich Hartewig bei den Jungliberalen in Chemnitz. „Chancen schaffen“ – dieses Leitbild habe ihn angesprochen.

Doch kann das höchstens ein Teil der Antwort sein. Für ein gerechtes Bildungssystem setzen sich auch andere Parteien ein, unter anderem die SPD. Wieso engagiert sich Hartewig also seit Jahren für eine Partei, die die Hälfte der Zeit, in der er politisch aktiv ist, weder im sächsischen Landtag noch im Bundestag vertreten ist?

Und nun auch noch die Direktkandidatur. Dabei sind Hartewigs Aussichten äußerst gering. Nur wer einen der 299 Wahlkreise in Deutschland gewinnt, zieht direkt in den Bundestag ein. In Hartewigs Wahlkreis Mittelsachsen ging das Direktmandat bei den letzten beiden Wahlen an die CDU. Damit es Hartewig, der für die FDP auf Platz vier der Landesliste antritt, nach Berlin schafft, müsste die FDP auf Bundesebene schon zweistellige Ergebnisse erzielen. Oder die FDP holt in Sachsen ein überdurchschnittliches Ergebnis. Dafür bräuchte sie an die zehn Prozent.

„Natürlich motiviert mich das Ergebnis“, sagt Hartewig mit Blick auf die NRW-Wahl vom vergangenen Wochenende. „Mich hat besonders gefreut, dass wir einen so hohen Anteil bei den 18- bis 24-Jährigen hatten. Ich glaube, das bringt uns für die Zukunft mehr, als darauf zu hoffen, dass die Alten, die früher mal FDP gewählt haben, sich vielleicht doch nochmal für die Partei entscheiden.“

Seinen Alltag als Wahlkämpfer in Mittelsachsen beeinflusst der Ausgang der NRW-Wahl kaum. Im Osten des Landes, erklärt Politikwissenschaftler Träger, habe es die FDP traditionell schwer. „Parteibindungen, wie man sie aus Westdeutschland kennt, haben sich hier nicht im vergleichbaren Maße ausgebildet. Die Stammwählerschaft der FDP reicht nicht einmal, um über die Fünfprozenthürde zu kommen.“

Will Hartewig sein Ziel erreichen und die FDP beim Wiedereinstieg in den Bundestag unterstützen, muss er um jede Stimme kämpfen. Und das in einer Region, in der die FDP von vielen bis heute als Partei der Besserverdienenden wahrgenommen wird.

Hartewig selbst spricht das wirtschaftsliberale Profil der Partei an. Er ist Jahrgang 1994 – das Jahr, in dem die Geburtenzahl in Sachsen auf ihren historischen Tiefstand sinkt und die Zahl derjenigen, die wegziehen, in ungekannte Höhen schnellt. Es ist eine Zeit des Umbruchs und der Unsicherheit.

Gut zwanzig Jahre später ist aus ihm ein junger Mann geworden, der für einen 22-Jährigen erstaunlich konservative Tugenden an den Tag legt. Er ist freundlich, höflich und aufmerksam. Das T-Shirt frisch gewaschen, die Jeans ohne Löcher, der Haarschnitt, der entfernt an den SPD-Altvorsitzenden Kurt Beck erinnert, stets akkurat.

Für seine Familie war er trotzdem ein bisschen Rebell: Mit wenig kann ein 15-jähriger Ostdeutscher eine Familie, deren eine Hälfte über Jahrzehnte SED, PDS und Linkspartei aus Überzeugung wählt, mehr schocken als mit dem Bekenntnis zum Wirtschaftsliberalismus. Und selbst die andere eher DDR-kritische Hälfte der Familie zeigt sich angesichts von Hartewigs politischem Engagement zunächst skeptisch. „Mir ist keine Ablehnung entgegengeschlagen. Aber begeistert war auch niemand“, berichtet er. Hartewig muss viel Überzeugungsarbeit leisten. Mit Erfolg. Mittlerweile wählt der Großteil seiner Familie FDP.

Ein junger Ostdeutscher, dessen Familie zur Hälfte jahrelang links wählt, bekennt sich zum Wirtschaftsliberalismus

Hartewig ist inzwischen mit dem Regionalexpress in Dresden angekommen. Mit ihm versammeln sich im Keller der dreistöckigen Stadtvilla der FDP noch 15 andere junge Männer und Frauen. Die meisten Männer tragen Hemd zu Jeans. Die Frauen sind sorgfältig geschminkt und frisiert. Hartewig begrüßt alle mit Handschlag oder Umarmung. Mit vielen ist er befreundet.

Die Jungliberalen sind Hartewigs politische Familie. Hier kann er sich für mehr Gerechtigkeit in der Bildung einsetzen. Gleichzeitig trifft er auf Leute, die – wie er – davon überzeugt sind, dass der Einzelne die Möglichkeiten, die ihm geboten werden, auch nutzen muss.

Während im Mitgliedsraum mit den blau-gelben Sofas eine Debatte über die Pflichtmitgliedschaft in der Industrie-und Handelskammer ansteht, zieht er sich zu den anderen Mitgliedern des Landesvorstandes in die Küche zurück. Die Gespräche drehen sich um Politisches und Privates. „Die Debatte über den Kammerzwang habe ich schon dreimal gehört“, sagt Hartewig.

„In ein bis zwei Jahren will ich hier Platz für die Neuen machen.“ Schon nach der Bundestagswahl will er sein Pensum zurückfahren und sich auf sein Studium konzentrieren. Und dann? Ist die viele Arbeit, sind die kurzen Nächte und die Vernachlässigung seines Studiums nicht erst dann sinnvoll, wenn sie am Ende den Weg in die Berufspolitik ebnen?

Hartewig weicht der Frage aus, verweist auf die hohe Arbeitsbelastung und den Mangel an Privatsphäre. Ein Mitglied des Landesvorstandes sagt hingegen: „Wenn er diesen Weg weitergeht, ist Philipp natürlich einer von denen, die es in die Berufspolitik schaffen können. Doch selbst, wenn er das möchte, wird er das öffentlich nicht zugeben. Denn ab diesem Moment stünde er von allen Seiten unter permanenter Beobachtung.“ Hartewig verweigert sich jeglicher Erwartungshaltung an ihn und schweigt.

Etwas später drehen sich die Gespräche um den morgigen Landesparteitag der sächsischen FDP. Über ein Stimmrecht verfügt Hartewig im Landesvorstand noch nicht. Das soll sich morgen ändern. Fünf Mitglieder der Jungliberalen kandidieren für den Vorstand. Unter ihnen Hartewig.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen