: Immer mehr Arbeit
KREISSSÄLE In Kliniken müssen Hebammen oft bis zu vier Schwangere gleichzeitig betreuen
Eltern sollen die Wahl haben, frei zu entscheiden, wo und wie sie ihr Kind zur Welt bringen, ist ein weithin akzeptierter Grundsatz. Die Realität sieht allerdings anders aus. Nicht nur auf dem unterversorgten Land, sondern auch in Großstädten müssen Geburtskliniken zeitweise Frauen mit Wehen abweisen, weil sie personell unterbesetzt sind. Denn immer mehr Hebammen geben ihren Beruf auf, da ihr Einkommen zu gering ist. In den Kreißsälen steigt dagegen ihre Arbeitsbelastung.
Nach einer Erhebung des deutschen Hebammenverbandes zu den Arbeitsbedingungen in Kreißsälen müssen Hebammen in Kliniken zunehmend drei oder mehr Frauen während der Geburt gleichzeitig betreuen. Ein Gutachten des Wissenschaftlichen Dienstes (WD) des Bundestages vom März dieses Jahres hat diese Zahl bestätigt. Demnach werden in Deutschland dreimal so viele Gebärende wie in anderen europäischen Ländern von einer Hebamme betreut.
Auch in Berlin kann es schwieriger als erwartet sein, eine Hebamme zu finden. Im Dezember schlugen die Chefärzte vom St.- Joseph-Krankenhaus und dem Helios-Klinikum Buch Alarm. Nach ihren Recherchen hätten im Vorjahr in elf Berliner Geburtskliniken über 400 Frauen notgedrungen in eine andere Klinik wechseln müssen. Neben Mangel an räumlichen Kapazitäten sei auch das Fehlen von Hebammen dafür verantwortlich.
Die Politik ist gefordert. Im April haben die Grünen mehr Hebammen, eine höhere Zahl von Kreißsälen in Ballungszentren sowie eine Umwandlung der teuren Haftpflichtversicherungen in der Geburtshilfe in ein öffentlich finanziertes Modell vorgeschlagen. Besonders schwierig ist die Lage weiterhin für freiberufliche Hebammen. Sie haben oft große Probleme, die Kosten für ihre Berufshaftpflichtversicherung zu decken. In den vergangenen zehn Jahren ist diese um rund 310 Prozent auf 6.483 Euro pro Jahr gestiegen, wenn durch den so genannten „Sicherstellungszuschlag“ auch inzwischen rund die Hälfte von Ihnen gut die Hälfte der Kosten erstattet bekommt Dies geht aus einer Antwort der Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage der Linksfraktion vom Januar hervor. Die Linke fordert darum, einen „Haftungsfonds für alle Gesundheitsberufe“ einzurichten. OS
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