: Verbale Scharmützel am Rande
Brexit Die Unstimmigkeiten zwischen der britischen Regierung und der EU-Kommission sind nicht ausgeräumt. Es geht dabei um sehr viel Geld
EU-Verhandlungsführer Barnier
Eine Bergwanderung durch schwieriges Terrain: So stellt sich Michel Barnier, Chefunterhändler der EU-Kommission, die Verhandlungen über den Brexit vor. „Es gibt Höhen und Tiefen, man muss sich jeden Schritt genau überlegen und Unfälle vermeiden“, sagt der Franzose, der aus der alpinen französischen Region Haute-Savoyen kommt. „Dazu habe ich Theresa May eingeladen“, fügt er lächelnd hinzu.
Doch die Premierministerin hat derzeit andere Sorgen. Statt gemeinsam mit Barnier durchzustarten – die Verhandlungen sollen nach der Unterhauswahl am 8. Juni beginnen – schießt sie sich auf die EU ein. Das „Brüsseler Geschwätz“ müsse aufhören, fordert May. „Ich kann eine verdammt schwierige Frau sein“, warnte sie Kommissionschef Jean-Claude Juncker laut Guardian.
Grund des Ärgers sind deutsche Presseberichte über ein Abendessen, das zwar schon am vergangenen Mittwoch in London stattfand, aber erst jetzt Wellen schlägt. „May lebt in einer anderen Galaxie“, soll Juncker nach dem Dinner mit May gesagt haben. Einige Briten machten sich immer noch „Illusionen“, legte Bundeskanzlerin Angela Merkel nach. Juncker hatte Merkel über das Treffen informiert.
In London sieht man in den Artikeln über das „Desaster-Dinner“ gezielte Manöver, um den Brexit zu behindern und die Kosten in die Höhe zu treiben. „Deutschland mischt sich ein, um May zu schwächen“, titelte der konservative Telegraph. Die Brexit-Rechnung könne von bisher geschätzten 60 Milliarden Euro auf bis zu 100 Milliarden Euro ansteigen, meldete die liberale Financial Times.
Nun hängt der Haussegen schief. „Wir zahlen keine 100 Milliarden“, schoss Brexit-Minister David Davis zurück. „Wir gehen nicht als Bittsteller in die Verhandlungen“, stellte er klar. Brüssel werde nicht allein entscheiden, wie die Scheidung abläuft, so Davis trotzig. Sein Land werde nur das bezahlen, wozu es gesetzlich verpflichtet sei, und „nicht das, was die EU will“.
Viel diplomatischer klang es am Mittwoch in Brüssel. Barnier versuchte die Wogen zu glätten. Die EU habe „keinen Blankoscheck“ von den Briten gefordert, betonte er. Zwar müsse London seine finanziellen Verpflichtungen erfüllen. Neben dem laufenden EU-Budget nannte Barnier Finanzhilfen für die Türkei und die Ukraine. London müsse jedoch „keinen Preis“ für den Brexit zahlen, die Summe werde gemeinsam festgelegt.
Erst wenn die Austrittsfragen wie die Finanzverpflichtungen und die Rechte der 3,2 Millionen EU-Bürger in Großbritannien weitgehend geklärt sind, will die EU mit London über über ein Handelsabkommen sprechen. Barnier forderte für EU-Bürger in Großbritannien „lebenslange“ Garantien, dass diese dort weiter leben, arbeiten oder studieren können und auch Anspruch auf Sozialleistungen haben. Einen permanenten Aufenthaltsstatus sollen alle EU-Bürger bekommen, die vor dem Austrittsdatum am 29. März 2019 fünf Jahre im Land gelebt haben. Die Garantien sollen dann umgekehrt auch für die 1,2 Millionen Briten gelten, die auf dem Kontinent leben. Von der Reihenfolge der Themen bis hin zur Rechnungslegung ist alles bis ins kleinste Detail festgelegt. So sollen die britischen Verbindlichkeiten in Euro und nicht in Pfund festgesetzt werden.
„Ferner sollte das Vereinigte Königreich die spezifischen Kosten des Austrittsprozesses wie die Verlagerung der Agenturen oder anderer Einrichtungen der Union voll umfänglich tragen“, heißt es in dem Text, der die Rechtsgrundlage für die Scheidung bilden soll.
Barnier wiederholte die Hoffnung, dass ein Brexit-Abkommen im Oktober 2018 unter Dach und Fach sein soll. Danach muss der Vertrag in allen EU-Staaten und im Europäischen Parlament ratifiziert werden, um den Austritt wie geplant am 29. März 2019 vollziehen zu können. Am Ende werde eine „Entente cordiale“, also eine neue Freundschaft stehen, gab sich Barnier optimistisch.
Doch was passiert, wenn die Bergtour doch noch mit einem Unfall endet und die Briten den Verhandlungstisch ohne Abkommen verlassen? Dazu wollte sich der Franzose nicht äußern. „Wir sind auf alles vorbereitet“, gab er sich wortkarg. Fast klang es wie eine neue Drohung.
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