abrüstung eines musikterroristen von RALF SOTSCHECK :
Das ist doch mal eine gute Nachricht: Harry Webb wird nie wieder eine Schallplatte oder CD aufnehmen. Der in Indien geborene Musikterrorist, der unter seinem Pseudonym „Sir Cliff Richard“ mit seiner Supermarktmusik jeden Einkauf zum Schreckenserlebnis macht, schmollt: Alle britischen Radiosender boykottieren ihn, so behauptet er. Vielleicht haben sie einfach nur guten Geschmack?
„Ich will nicht meine Zeit damit verschwenden, Platten zu machen, die niemand spielt“, sagte der 64-Jährige. Eine späte, aber willkommene Erkenntnis. Seit den Fünfzigerjahren des vorigen Jahrhunderts hat Richard 128 Singles veröffentlicht. Neben Elvis Presley ist er der Einzige, dessen Songs in sechs aufeinander folgenden Jahrzehnten in den Charts landeten. Aber früher machte er wenigstens halbwegs harmlose Schlagermusik. Dann entdeckte er am 26. Juni 1966 Gott, und das kam so: Er übernachtete bei seinem früheren Religionslehrer Bill Latham und dessen Mutter. Auf dem Nachttisch lag das „Buch der Offenbarungen“, und Richard las: „Siehe! Ich stehe vor der Tür und klopfe; wenn jemand meine Stimme hört und die Tür öffnet, werde ich eintreten.“ Cliff-Harry sprach ein Gebet: „Okay, Jesus, ich weiß, dass du vor der Tür stehst und klopfst – komm besser herein und übernimm das Steuer.“ So steht es in Richards Internetbiografie mit dem Titel: „Cliffennium – One Man: One Hundred Milestones.“
Das muss man in diesem Fall wohl mit „Mühlsteine“ übersetzen. Jedenfalls quält Richard seitdem sein Publikum mit Liedern wie „Sweet Little Jesus Boy“, „Saviour’s Day“ oder „Honky Tonk Angel“. Außerdem entdeckte er das Weihnachtsgeschäft und warf eine Scheibe mit zuckersüßen Weihnachtsschnulzen über Mistelzweige und stille Nächte und Marys kleinen Knaben auf den Markt. Da platzte Chris Evans, damals Discjockey bei Virgin-Radio, der Kragen: Er legte einen öffentlichen Schwur ab, dass er Cliff Richards Platten nie mehr spielen werde. Leider folgten die Supermarktbesitzer nicht diesem löblichen Beispiel und berieseln die wehrlose Kundschaft zur Weihnachtszeit – die in den Kaufhäusern am nächsten Wochenende beginnt – mit dem Gedudel, so dass selbst das gefrorene Weihnachtsgeflügel eine Gänsehaut bekommt.
Seinen letzten Auftritt vor großem Publikum hatte Richard 1996 beim Tennisturnier in Wimbledon. Als das Spiel wegen Regen unterbrochen werden musste, begann er ungefragt zu singen. Zum ersten Mal verfluchten die Engländer ihr unbeständiges Wetter, an das sie eigentlich gewöhnt sind. Konzerte will er auch weiterhin geben – „bis ich tot bin, weil ich die Atmosphäre liebe“, drohte er, was nicht schlimm ist, denn dagegen kann man sich schützen, indem man die Veranstaltungsorte meidet. „Aber eine Platte wird es nicht mehr geben“, versprach er.
Vorigen Donnerstag kam das Dementi. „Cliff ist zurzeit im Aufnahmestudio“, sagte Religionslehrer Latham zur Hindustan Times. „Er bat mich, sich in seinem Namen für das Missverständnis zu entschuldigen.“ Nein, Sir Cliff, das Missverständnis hat sich 1966 ereignet: Jesus hat damals nicht an die Tür geklopft. Es war der Nachbar, der an die Wand hämmerte, weil er das Geplärre satt hatte.